Der Tower des Flughafens Leipzig/Halle ist in leichten Nebel gehüllt. Es ist kurz nach 22 Uhr. In der Kanzel, jenem vollverglasten Raum in über 60 Metern Höhe, sitzt Karoline Trull vor einer Reihe von Bildschirmen. Ein bisschen wirkt es so, als sei sie in der Kommandozentrale eines Raumschiffs. Der Monitor genau vor ihr zeigt ein Radarbild. Zu sehen sind der Flughafen und die Umgebung. Auf dem Bild bewegen sich grellgrüne Zeilen. Eine Kombination aus Zahlen und Buchstaben, die für den Laien nicht zu entziffern ist. „Das sind die Flugzeuge“, erklärt Trull. Dann ertönt über Funk eine blecherne Stimme. Es ist der Pilot einer Maschine. Was er sagt? Unverständlich – für den Beobachter zumindest. Denn Trull reagiert sofort. „Good Evening“, begrüßt sie den Flieger. Es folgen Ziffern und Zahlen. „Die Landefreigabe“, wie Trull anschließend sagt. Dann herrscht wieder Funkstille.
Das alles passiert innerhalb weniger Sekunden. Über den Wolken, das merkt man im Tower schnell, werden nicht viele Worte gewechselt. „Die Kommunikation muss vor allem eindeutig sein, um Missverständnisse zu vermeiden“, sagt Trull. Mit ihren 26 Jahren ist die Berlinerin noch jung, aber andererseits auch schon einige Zeit dabei. Fünfeinhalb Jahre war sie bereits Lotsin in Erfurt, bevor sie in diesem Jahr nach Leipzig wechselte. „Schon vor dem Abi“, sagt Trull, „habe ich mich gleich bei der DFS beworben und nach der Schule dann mit der Ausbildung begonnen.“
Das 360-Grad-Video aus dem Tower in Leipzig
Wie funktionieren 360-Grad-Videos? Antworten gibt es auf unserer Extraseite! Wer das Rund-Um-Video in Vollbildmodus sehen will, der kann das unter diesem Link tun. Und wer es mit einer VR-Brille ansehen möchte, sollte den Youtube-Link benutzen.
Anspruchsvoller Auswahltest
Die DFS? Das ist die Deutsche Flugsicherung. Ein Unternehmen, das zwar als GmbH organisiert ist, jedoch komplett dem Bund gehört. 1,24 Milliarden Euro Umsatz machte die DFS im vergangenen Jahr. Ihr Kerngeschäft ist dabei die Kontrolle des Verkehrs im Himmel über Deutschland. Und der ist einer der meistfrequentierten Lufträume der Welt. „Wir haben jährlich über drei Millionen Starts, Landungen und Überflüge “, erklärt Stefan Jaekel, der Ostdeutschland-Sprecher der DFS. „Unsere Lotsen sind dafür da, dass all diese Flugbewegungen reibungslos ablaufen“, sagt er.
Der Luftraum ist dabei genau aufgeteilt. Man kann ihn sich am besten als eine Aneinanderreihung von Quadern vorstellen. Jeder dieser Quader entspricht einem Kontrollsektor. Rund um Flughäfen sind diese Zonen vergleichsweise klein, weil hier gestartet und gelandet wird – also mehr Bewegungen stattfinden. Der Tower Leipzig ist zum Beispiel für ein Gebiet zuständig, das sich 35 Kilometer von Osten nach Westen, 13 Kilometer von Norden nach Süden und bis in eine Höhe von knapp 0,7 Kilometern (2 500 Fuß) erstreckt. Fliegt ein Flugzeug aus diesem Korridor heraus, wird es von anderen Lotsen übernommen. „Das muss man sich wie bei einem Staffelstab vorstellen, der immer weiter gegeben wird“, erklärt DFS-Sprecher Jaekel.
Dabei sind auch an eigentlich kurzen Flügen mitunter viele Lotsen beteiligt. Ein eindrückliches Beispiel sei die Strecke von Berlin nach Düsseldorf. „Da sind mit einem Flugzeug bis zu 19 Lotsen beschäftigt“, sagt Jaekel. Das hänge auch damit zusammen, dass die Maschine Gebiete passiere, in denen besonders viel Verkehr herrscht. „Dort sind die Sektoren dann kleiner gefasst“, erklärt Jaekel.
Das ist nur eine Vorkehrung, die die Sicherheit am Himmel erhöhen soll. Um Zwischenfälle oder kritische Situationen zu verhindern, wird viel getan. So sind für jeden Sektor immer zwei Lotsen gleichzeitig zuständig. Ein dritter ist stets in Bereitschaft. Die Sicherheitsvorkehrungen beginnen allerdings schon weit vor dem täglichen Betrieb: Bei der Auswahl der späteren Tower-Besatzung.
Es gibt kaum einen Beruf, bei dem ein härteres Auswahlverfahren durchlaufen werden muss. „Jedes Jahr bekommen wir rund 4 500 Bewerbungen“, sagt Stefan Jaekel. Von denen schaffen durchschnittlich fünf Prozent die Aufnahmeprüfung. Auch Karoline Trull erinnert sich noch an ihren Test. „Der dauerte fünf Tage und war sehr hart“, sagt sie. Am schwierigsten sei für sie der Aufmerksamkeits-Test gewesen. „Eine Stunde lang musste man dabei auf akustische und optische Signale gleichzeitig reagieren – das war extrem anstrengend.“
Auch Fähigkeiten wie selektives Hören, räumliche Verständnis, Merkfähigkeit oder Stressresistenz werden getestet. „Und die Leistung muss dabei auch in der Kombination überdurchschnittlich sein“, betont Jaekel. Ist sie das nicht, fällt man durch. Und eine zweite Chance gibt es bei der DFS nicht: „Weil die meisten der geforderten Fähigkeiten angeboren sind, darf man den Test auch nicht wiederholen.“
Viel Arbeit in der Nacht
Für Karoline Trull ist dieses harte Verfahren gerechtfertigt. „Im Tower ist zwar nicht jede Minute stressig“, sagt sie. „Aber es gibt Phasen, da müssen viele Handlungen gleichzeitig passieren.“. In Leipzig ist das vor allem zu später Stunde der Fall. Der Flughafen ist neben Köln einer der wenigen, der auch eine Nachtflugerlaubnis für Frachtgüter besitzt. Seit Jahren klagen Initiativen dagegen. Bisher konnten sie die Erlaubnis nicht kippen.
So hat sich der Flughafen vor allem im Frachtbereich in den vergangenen Jahren stark entwickelt. Knapp eine Million Tonnen Güter wurden hier 2015 umgeschlagen. Deutschlandweit ist das Platz zwei. Für Karoline Trull und ihre Kollegen bedeutet das viel Arbeit. „In der Nacht gibt es Stunden, da landen hier mehr als 50 Maschinen“, sagt die 26-Jährige. „Da muss man natürlich hellwach und fit sein.“
Die Lotsen in Leipzig arbeiten in Früh-, Spät- und Nachtschicht. Auf fünf Tage im Tower folgen vier Tage Freizeit. An jedem Standort ist das jedoch anders geregelt, was an dem jeweiligen Flugverkehr und der damit verbundenen Belastung liegt. Das gilt auch für die Entlohnung. Das Einstiegsgehalt liegt zwischen 5 800 und 8 100 Euro. Das sei „verantwortungsgerecht“, heißt es bei der DFS.
Auf dem Monitor vor Karoline Trull tauchen jetzt immer mehr Flugzeuge auf. Die Frequenz nimmt zu, je später es wird. „Bis sieben Uhr geht meine Schicht noch“, sagt sie. „Dann habe ich erst einmal vier Tage frei.“