Wald unterm Hammer

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Kurz zuckt es im Gras und schon schnellt Ralf Knapp zu Boden. Seine Hände wischen durch die Halme, dann rappelt er sich wieder auf. „Das ist ein Moorfrosch“, sagt der 58-Jährige . Das kleine Tierchen, das er vom Waldboden aufgelesen hat, klemmt zwischen seinen Fingern. Eine geschützte Art sei das und die fühle sich hier sehr wohl, erklärt Knapp. „Der sumpfige Boden und das saure Milieu sind ideal.“ Doch ob diese Bedingungen auch künftig so erhalten bleiben, daran hat Knapp so seine Zweifel.

Denn der Wald, in dem der Naturschutzbeauftragte des Altmarkkreises unterwegs ist, wird versteigert. Bürgerholz heißt er. Zusammen mit dem angrenzenden Buchhorst bildet er den rund 1.400 Hektar großen Stadtforst von Salzwedel. „Neben dem Spreewald ist das eines der größten zusammenhängenden Feuchtwaldgebiet in Deutschland“, sagt Knapp. Ein wertvolles Biotop, in dem Kraniche brüten und seltene Falter und Fledermäuse zu finden sind.

30 Millionen Euro Schulden

Naturschützer Ralf Knapp.
Naturschützer Ralf Knapp.

Dass dieses ökologische Kleinod nun an den Höchstbietenden verscherbelt werden soll, ist ein Novum in Sachsen-Anhalt. Zumal der Forst zu Salzwedel gehört, wie Luther zu Wittenberg. 800 Jahre ist er im Besitz der Altmark-Metropole am Nordrand von Sachsen-Anhalt. Doch nun will die Baumkuchenstadt ihre Bäume loswerden. Wobei „wollen“ wohl das falsche Wort ist.

Denn die parteilose Bürgermeisterin Sabine Blümel sieht sich eher zum Verkauf gezwungen. Die Entscheidung, den Wald zu veräußern, sei „sehr  schwer gefalllen“, sagte sie dem MDR. Was Blümel zwingt, ist der Schuldenberg ihrer Stadt. Rund 30 Millionen Euro betrug die Kreditlast Ende 2015. Durch eingebrochene Steuereinnahmen sei das Minus noch weiter angewachsen. Deswegen verordnete Blümel, die erst seit März im Amt ist, einen harten Konsolidierungskurs. Sie setzte im Stadtrat ein acht Punkte umfassendes Liquiditätskonzept durch, das man auch als Salzwedler Sommerschlussverkauf bezeichnen könnte: „Alles muss raus“, ist die Devise: Aktienpakete, Immobilen und eben auch der Wald.

Verschuldung in den Gemeinden Sachsen-Anhalts

Der scheint auch so ziemlich das Wertvollste zu sein, was die Hansestadt im Schatzkämmerchen hat. Fast acht Millionen Euro erhofft sich die Bürgermeisterin von der Auktion. Keine unrealistische Zahl, wie aus Szenekreisen zu erfahren ist. Und das, obwohl der Wald laut Blümel pro Jahr rund 150.000 Euro Defizit einfährt.

Wird der Forst zum Jagdrevier?

Eine Summe, die Naturschützer Ralf Knapp zwar anzweifelt. Er meint jedoch: „Forstwirtschaftlich ist dieses Gebiet nicht rentabel.“ Der 58-Jährige steht, als er das sagt, auf einem Bohlensteg, der angelegt wurde, um einen sumpfigen Teil des Waldes zugänglich zu machen. „Hier gibt es Stellen, an denen bis zu drei Meter Moor über dem mineralischen Boden liegen“, sagt er. So etwas sei selten in Deutschland. Der feuchte Untergrund sei es auch, der die Holzproduktion verhindere. „Geschlagene Bäume bekommt man hier nur mit viel Mühe raus“, sagt Knapp.

„Dieses Gebiet ist nicht rentabel.“
Naturschützer Ralf Knapp

Für ihn gibt es deswegen eigentlich nur drei mögliche Privatkäufer. Die erste Option, ein wohlhabender Naturfreund, verwirft Knapp gleich selber. „Der wird sich wohl kaum finden.“ Wahrscheinlicher sei da noch ein Spekulant, der sein Geld in Boden investiert und auf Wertsteigerung hofft. „Das wäre noch eine gute Lösung, weil solch ein Investor zumindest nicht in den Wald eingreifen würde.“

Verheerender ist für den Naturschützer die dritte Möglichkeit. „Jemand kauft es, um sein privates Jagdrevier daraus zu machen.“ Solche Gebiete sind prestigeträchtig und knapp in Deutschland. Und Jagdsportler sind ein finanzkräftiges Klientel. „Dieser Käufer hätte es vor allem auf Schwarzwild abgesehen und würde entsprechend in das Gelände eingreifen.“ Mögliche Folgen: „Alles was halbwegs trocken ist, wird in Futter- und in Schussschneisen umgewandelt“, erklärt Knapp. Der steigende Bestand an Wildschweinen könnte dann andere Arten verdrängen.

Prestige-Projekt vor dem Aus?

Auch wäre der Forst nicht mehr uneingeschränkt betretbar. „Seit April gibt es ein neues Waldgesetz“, erklärt Knapp. In dem stehe zwar, dass jeder Wald zur Erholung genutzt werden darf. „Allerdings kann ein privater Besitzer durchaus bestimmten Institutionen den Zugang verwehren.“ Prekär wäre das zum Beispiel für den BUND.

„Es ist nicht beabsichtigt, die gesamte Waldfläche in öffentliche Hand zu übernehmen“
Umweltministerium

Die Naturschutzorganisation kümmert sich seit Jahren um Bürgerholz und Buchhorst und gliederte Teile der beiden Wälder auch in das Grünen Band ein. Dahinter verbirgt sich ein 1400 Kilometer langer Biotop-Verbund entlang der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze. Ein Prestige-Projekt des BUND, das die Grünen in Sachsen- Anhalt zum Naturmonument machen wollen. Es hätte dann einen ähnlichen Status wie ein Natur- schutzgebiet. Diesen Plan haben die Grünen auch im Koalitionsvertrag so verankert.

Das von Claudia Dalbert (Grüne) geführte Umweltministerium hat sich auch bereits in den Waldverkauf eingeklinkt. Es habe ein Treffen mit Bürgermeisterin Blümel gegeben und mehrmaligen Schriftverkehr, heißt es auf Anfrage. Anfänglich gab es sogar mal den Plan, dass das Land den Wald übernehmen könnte und Salzwedel dafür Ausgleichsflächen zur Verfügung stellt. Davon wurde nun wieder Abstand genommen. „Es ist nicht beabsichtigt, die gesamte Waldfläche in öffentliche Hand zu übernehmen“, teilt das Ministerium auf mit. Man prüfe aber, wie der Wald an Naturschutzorganisation übergeben werden könne.

  • Dieses ökologische Kleinod versteigert die Stadt Salzwedel nun an den Höchstbietenden. Erhoffter Erlös: acht Millionen Euro.

Eine letzte Chance

Stadtforst
Der Stadtforst Salzwedel

Nach anfänglichen Irritationen scheint das nun auch die Linien der Landesregierung zu sein. Zu- letzt hatte das von André Schröder geführte Finanzministerium nämlich die Bitte von Salzwedel um eine Liquiditätshilfe von drei Millionen Euro abgeweisen und nur 890.000 Euro bewilligt. Als ein Grund wurde der Konsolidierungsplan von Bürgermeisterin Blümel genannt, dessen einträglichster Posten ja der Waldverkauf ist.

Nun rudert das Finanzministerium aber zurück. „Auf Grund der Bedeutung des Waldes werden wir da noch einmal das Gespräch suchen“, sagt Sprecher Wolfgang Borchert. Viel Zeit allerdings bleibt da- für nicht. Bis Mitte September sollen die Versteigerungen abgeschlossen sein. So lange läuft das Bieterverfahren noch. Erste Interessenten gäbe es bereits. Naturschützer Rolf Knapp hofft, dass das Land noch eine Lösung findet: „Denn, dass jemand anders den Wald retten kann, glaube ich nicht.“

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Bleibt der Stadtforst mit seiner Vielfalt bestehen?