Um 7 Uhr morgens geht’s los. Draußen dämmert es, drinnen schneidet Silke Schleicher den Quark an. In einer Wanne hat sich die Milch über Nacht dickgelegt, wie es im Fachjargon heißt. Schleicher schöpft sie mit einer großen Kelle in weiße Säcke, aus denen die Molke ablaufen wird. Das dauert mehrere Stunden und wird durch Umpacken, Schütteln und Nachbinden der Säcke unterstützt. Das kostet Muskelkraft, bei Schleicher sieht es dennoch spielend aus. „Quark wird bei uns wirklich noch in Handarbeit hergestellt“, sagt Landwirt Frederick Meurer. Der 31-Jährige gießt daneben über einen Trichter Joghurt in einen Automaten ein. Im Sekundentakt füllt die Anlage die Plastikbecher. Auf dem Aluminiumdeckel prangt das Markenzeichen: Eine Kuh und der Schriftzug Hof Pfaffendorf.
Auf dem Deckel könnte auch stehen: von der kleinsten Molkerei Sachsen-Anhalts. Der Hof Paffendorf unweit von Köthen ist ein landwirtschaftlicher Betrieb mit 700 Kühen. Seit vergangenem Jahr produzieren Meurers hier auch Frischmilch, Käse, Joghurt und Quark. Mit einer großen Portion Mut tritt die Familie Meurer als David in den Wettbewerb mit den Goliaths wie die Großmolkerei Deutsches Milchkontor (DMK) oder Arla, die jährlich Milliarden umsetzen.
An Demos vor Großmolkereien teilgenommen
Die Idee reifte bereits 2008. Damals nahm die Chefin des Hofes, Birgit Meurer, an Milchstreiks gegen die niedrigen Preise teil. „Ich demonstrierte auch vor den Toren der Molkereien, weil unsere Milch billiger verkauft wurde als Marken-Mineralwasser“, sagt sie heute. Protest allein reichte ihr allerdings nicht. Sie wollte etwas verändern – einen Teil ihrer Milch auch unter einer regionalen Marke verkaufen. Als sie dafür keine Partner fand, gründeten sie und ihr Sohn Frederick eben selbst eine Molkerei.
Doch auch die Molkereien leiden: Aufgrund rückläufiger Milchmengen und des hohen Preisdrucks des Handels hat die Großmolkerei DMK zuletzt beschlossen, die Burgenlandkäserei in Bad Bibra (Burgenlandkreis) im März 2018 zu schließen (die MZ berichtete). Betroffen davon sind 110 Mitarbeiter. Proteste gegen das Aus blieben erfolglos. In den vergangenen 20 Jahren verschwanden schon mehrere große Molkereien in Sachsen-Anhalt von der Landkarte -unter anderem der Milchhof in Magdeburg. In Sachsen-Anhalt gibt es nur noch sieben größere Molkereien. Dazu gehören unter anderem die Milchwerke Mittelelbe in Stendal (Altmark), die Frischli Milchwerke in Weißenfels (Burgenlandkreis) sowie die BMI – Elsterland in Jessen (Landkreis Wittenberg). .
Frederick Meurer trägt Jeans, ein rot-blaues Holzfäller-Hemd und die Haare sind zurückgekämmt. 2015 hatte er gerade sein Agrar- und Ernährungswirtschaftsstudium beendet. „Anders als frühere Bauern-Generationen hatten wir von Milchveredlung aber keine Ahnung mehr“, gesteht der junge Landwirt. Also informierte er sich zunächst bei Verbänden und anderen Betrieben. „Wir waren überrascht, wie stark wir unterstützt wurden“, erzählt er. Etwa durch Landwirt Karsten Döbelt aus dem sächsischen Dehnitz, der ihn in die kleine Milchproduktion seines Betriebes einführte.
Foto: Steffen HöhneIn Sachsen-Anhalt kann man die Milchviehbetriebe, die eine eigene Vermarktung über den Handel oder Milchtankstellen betreiben, noch an zwei Händen abzählen. Erfolgreich ist beispielsweise die Harzer Bauern-Familie Klamroth aus Westerhausen mit ihrem Hofladen, in dem Molkerei-, Fleisch- und Wurstprodukte vermarktet werden.
„Uns standen viele Türen offen. Die Händler haben unser Angebot positiv aufgenommen.“ Birgit Meurer.
Über Monate kaufte Meurer die notwendige Technik wie eine kleine Milchabfüllanlage für die Tetra-Pack-Kartons, einen Joghurttank und einen Kurzzeiterhitzer um die Milch haltbar zu machen. Rund eine Million Euro investierten sie – viel Geld für den Hof Pfaffendorf, der mit 3 400 Hektar Acker immerhin zu den größeren landwirtschaftlichen Betrieben des Landes zählt. Zunächst starteten siemit der Produktion von Frischmilch. Als erster großer Händler nahm Rewe im Raum Köthen die Milch ins Regal auf, es folgten Edeka-Filialen. „Uns standen viele Türen offen. Die Händler haben unser Angebot positiv aufgenommen“, sagt Birgit Meurer.
Auch wenn Mikro-Molkereien, wie sie die Meurers betreiben, noch selten sind, begeistern sich immer mehr Landwirte für solche Modelle. „Der Trend im Lebensmittel-Konsum geht zu Regionalität und Individualität“, sagt Milchexperte Andreas Gorn von der Agrarmarkt Informationsgesellschaft. Die Bauern hätten daher auch Chancen, sich von den großen Molkereien unabhängiger zu machen. „Um den Verbraucherwunsch nach regionalen Produkten zu bedienen, nehmen einige Handelsketten Markenmilch vom Bauern gern ins Sortiment auf“, erläutert Hans Foldenauer, Sprecher des Bundesverbandes Deutscher Milchviehhalter, die Situation. Der Verbandsmann weist allerdings auch darauf hin, dass das kein Feigenblatt sein darf. „Noch immer steht bei allen Ketten die Billigmilch im Regal. Dort werden die Preise weiter gedrückt.“
Meurers Milch kostet im Geschäft zwischen 1,20 bis 1,29 Euro pro Liter und ist damit deutlich teurer als die Handelsmarken. „Dennoch verkaufen wir von Monat zu Monat ein bisschen mehr“, sagt die Landwirtin.
Schwere Zeiten
Es dauert, bis sich alles eingespielt hat, wie die Produktion in den Morgenstunden in der Molkerei zeigt. Bei der Abfüllung des Joghurts rutschen die Becher nicht nach. Die Anlage erkennt das nicht richtig und so ergießt sich der Joghurt über die Anlage. Meurer stoppt die Maschine, zu zweit reinigen sie alles mit Lappen und Eimer. Zehn Minuten dauert das. Aufregen tut das in der Drei-Mitarbeiter-Produktion niemanden. „Dann arbeiten wir halt zehn Minuten länger“, sagt der Landwirt und grinst die Mitarbeiterinnen an. Diese necken ihren jungen Chef mit einem Spruch zurück. Es darf gelacht werden.
Eine gewisse Gelassenheit ist der Familie offenbar zu eigen, die schon einige Widerstände und persönliche Tiefschläge überstanden hat. Frederick Meurers Vater Stefan Meurer stammte aus einer niedersächsischen Architekten-Familie, doch war es sein Traum, Landwirt zu werden. Nach einer Agrar-Ausbildung ging Stefan Meurer mit seiner Frau in den 80er Jahren in die USA, wo er fünf Jahre eine Farm leitete. Nach der Deutschen Einheit sah er in den neuen Ländern die Möglichkeit, selbst Land zu erwerben. Also stieg Meurer in Pfaffendorf ein. „Anfangs gab es schon Skepsis bei den Einheimischen, wer da wohl kommt“, blickt Birgit Meurer zurück. „Doch gemeinsame Arbeit baut schnell Vorurteile ab.“ Im Jahr 2000 verunglückte Stefan Meurer tödlich. Seine Frau, die nie einen <<Hof>> geleitet hatte, war plötzlich mit vier Kindern auf sich gestellt. Die 50 Mitarbeiter des Hofes baten sie, weiterzumachen. „Alle haben versucht, mir zu helfen“, sagt die heute 53-Jährige. Auf ihre leitenden Mitarbeiter konnte sie sich verlassen. Also hat sich Meurer auf den Chefstuhl gesetzt, abends die Bücher des Betriebes studiert und tagsüber geleitet – nach ihren Vorstellungen.
So zeigt der Hof Pfaffendorf, dass große Betriebe nichts mit „industrieller Landwirtschaft“ zu tun haben müssen. Rund die Hälfte der Fläche wird ökologisch bewirtschaftet. Angebaut wird unter anderem Weizen, Mais und Sojabohnen. Das Futter für die Rinder kommt zu 95 Prozent von den eigenen Feldern.
Frederick Meurer geht an den Ställen vorbei – über das Stahlgeländer schauen die Kühe neugierig. „Früher standen hier Wände, doch die haben wir weggerissen, damit die Ställe offen werden“, erklärt er. Nun werde auch überlegt, in wie weit künftig mehr Tiere auf Stroh stehen können. Das soll nicht nur dem Tierwohl dienen, sondern hat auch ökonomische Gründe. So wurde in den vergangenen Jahren unter anderem die Milchleistung gesenkt. „Unsere Kühe geben im Schnitt 9 500 Liter Milch im Jahr, früher waren es mehr als 10 000“, erklärt der Landwirt. „Doch dann hat irgendwann die Tiergesundheit nicht mehr gepasst. Die Kühe wurden schneller krank, mussten früher geschlachtet werden.“
Nicht der zehnte Kräuterquark
„Wir wollen möglichst viele Menschen aus der Region als Kunden gewinnen.“ Frederick Meurer
Wegen der niedrigen Milchpreise hat der Betrieb in den vergangenen Jahren mit den Kühen kaum Geld verdient. Auch die neue Molkerei ist vorerst noch ein Zuschuss-Betrieb. Nur ein kleiner Teil der Jahresproduktion wird selbst über den Handel vermarktet. Der Großteil der Milch wird weiter an die Allerstedter Käserei in Wohlmirstedt (Burgenlandkreis) geliefert. Nach und nach bringen die Paffendorfer jedoch neue Produkte auf den Markt. „Unser Joghurt ist ohne Konservierungsstoffe und mit richtigen Früchten“, sagt Meurer. So biete man die Sorten Erdbeere, Heidelbeere und Mango. Die Gestaltung der Verpackungen und des Logos hat seine Schwester übernommen, die als Designerin arbeitet.
Auch Milchexperte Gorn meint: „Die Mikro-Molkereien sollten sich auch von der Art der Produkte von den großen Wettbewerbern abheben. Den zehnten Kräuterquark muss keiner anbieten.“ Frederick Meurers Ziel wirkt eher bescheiden: „Wir wollen mit unseren Produkten möglichst viele Menschen hier aus der Region als Kunden gewinnen.“ Gelingt das, ist es für den Pfaffendorfer Hof ein großer Schritt nach vorn.