Der feuerrote Sonnenball ist vor fast einer Stunde am Horizont versunken, die Farbe des Himmels geht langsam von Blau in Schwarz über, und es gibt nur wenige kleine Wolken: Ideale Bedingungen an diesem Abend Ende Januar, um das wichtigste Arbeitsgerät von Holger Baars in Augenschein zu nehmen. Der Wissenschaftler steht auf der Dachterrasse seines Institutes im Osten Leipzigs und zeigt auf eine kleine, unscheinbare Öffnung im Flachdach des Gebäudes. „Da kommt er raus.“
Im ersten Moment erkennt das ungeübte Auge nur einen grünen Schleier. Doch folgt der Blick dem Licht nach oben, wird plötzlich ein scharfer, grüner Lichtstrahl sichtbar, der senkrecht in die Höhe ragt und klar am Abendhimmel hervorsticht: „Martha“, der stärkste Laser des Leipziger Leibniz Instituts für Troposphärenforschung (Tropos).
Bis zu dreimal in der Woche nehmen Holger Baars und seine Kollegen das Gerät in Betrieb. Ziel ist es, mit dem Laser bis in eine Höhe von 30 Kilometern feinste Staubpartikel, sogenannte Aerosole, aufzuspüren und zu untersuchen. Die Staubteilchen können aus der Schwerindustrie stammen, aber auch von einem Buschfeuer oder Vulkanausbruch. Und sie sind von großer Bedeutung für die Wolkenbildung, da sich jedes Wassertröpfchen zunächst um ein solch kleines Staubteilchen herum bildet. „Letztlich beeinflussen Aerosole sogar unser Klima“, erklärt der Meteorologe. Denn die Staubteilchen – meist kleiner als ein hundertstel Millimeter – reflektieren auch einen Teil des Sonnenlichtes und der Erdwärme. „Und dadurch kann die Temperatur am Boden schon einmal um zwei bis drei Grad sinken oder steigen.“
Das Prinzip ist einfach. Trifft der Laser auf ein Partikel, wird das Licht reflektiert. „Einen winziger Teil davon fangen wir mit einem Teleskop auf und können anschließend Eigenschaften wie Größe und Typus der Teilchen untersuchen“, erläutert der Wissenschaftler. Doch nicht nur das: Aus der Zeit, die das Licht für den Rückweg zur Erde benötigt, lassen sich auch die Position und die Konzentration der Staubpartikel in der Atmosphäre ermitteln. „Wir können also messen, in welcher Höhe sich wie viele Partikel befinden.“
Dünger für den Regenwald
Im Fokus der Forscher stehen dabei Staubpartikel aus der Sahara, die in höheren Luftschichten über den Atlantik teils bis nach Südamerika gelangen. Aus Sicht von Fachleuten würde es den Regenwald im Amazonas-Gebiet ohne diese kleinen Staubteilchen nicht in der heutigen Form geben. „Sie enthalten unter anderem viel Eisen und düngen den nährstoffarmen Boden im Amazonas-Gebiet“, sagt der 35-jährige Meteorologe. Doch nicht nur das. Es deutet auch vieles darauf hin, dass die Staubpartikel die Hurrikan-Bildung beeinflussen.
„Fakt ist: Die Staubteilchen aus der Wüste bringen eine Grundstruktur mit, das heißt, Wassermoleküle können sich dort besser anheften“, sagt der Tropos-Forscher. Und das hat Folgen für die Eisbildung, die in der Atmosphäre nicht bei null Grad einsetzt, sondern erst bei minus 38 Grad. „Sind aber Staubteilchen aus der Sahara in der Luft, beginnt die Eisbildung bereits bei minus 15 Grad.“
Inzwischen ist der Abend-Himmel über Leipzig Schwarz. Holger Baars verlässt die Dachterrasse des Institutes über eine Metall-Treppe und öffnet kurz danach im oberen Stockwerk des Gebäudes den kleinen Raum, in dem sich „Martha“ befindet. Zwei Handgriffe reichen, um den Laser anzuschalten. An einem kleinen Schaltpult muss der 35-Jährige nur einen Knopf drücken und einen Regler bedienen, um die Leistung zu steuern. „Das ist wie bei einer Stereoanlage der Lautstärke-Regler.“ Das flimmernde grüne Licht in dem engen Raum erinnert an eine Diskothek. Baars erklärt diesen Effekt. „Wir sehen zwar am Himmel einen durchgängigen grünen Strahl, doch tatsächlich sendet der Laser 20 bis 30 Lichtstöße pro Sekunde aus.
Dabei „frisst“ der Laser reichlich Energie. 11 000 Watt Leistung sind erforderlich, um den Strahl erzeugen zu können. „Nur“ 48 Watt Leistung verlassen den Laser letztlich als Licht. Das klingt wenig, ist jedoch ebenfalls viel. Zum Vergleich: Ein handelsüblicher Laserpointer darf höchstens 0,001 Watt Lichtleistung haben. „Würde der Laserstrahl direkt ins Auge treffen, entstünden schwere Augenschäden. Dem beugen wir allerdings vor, indem mit einem Radar das Umfeld überwacht und der Laser deaktiviert wird, sobald ein Objekt zu nahe kommt.“ Andererseits warnt Baars vor falschen Vorstellungen. „Das ist kein Laserschwert wie bei Star Wars, mit dem wir die Flugzeuge am Himmel zerteilen könnten.“ Und auch für Piloten, die den Flughafen Leipzig/Halle ansteuern, besteht keine Gefahr. Da der Laser senkrecht nach oben strahlt, kann er die Augen der Piloten nicht treffen. Allerdings führt das Lichtspektakel am Abendhimmel gelegentlich zu Nachfragen von Anwohnern, sagt Baars.
Messungen auch in der Arktis
Gemessen werden die Staubpartikel aber nicht nur in Leipzig, sondern auch in der Arktis. So betreibt das Alfred-Wegener-Instutit auf Spitzbergen einen noch etwas leistungsstärkeren Laser. Zwar ist die Luft in der Arktis meist klar, doch gelegentlich treiben Winde Staubpartikel auch aus unseren Breiten hoch in den Norden. Das kann vor allem im Frühjahr zu dunstartigen Wetterverhältnissen führen, dem sogenannten „Arctic Haze“. Im Sommer 2015 sorgten schwere Waldbrände in Kanada für trübe Sicht auf Spitzbergen.
In Leipzig dauert eine Messung meist zwei oder drei Stunden lang, Zeit genug also, sich den Laser an diesem Abend auch aus der Nähe anzuschauen. Holger Baars zieht seine Jacke an und steigt wieder hoch auf die Dachterrasse. „Raum 301 Fernerkundung Dachlabor“ steht auf einem Schild vor der Metalltreppe. Auch aus einigen Metern Abstand sieht man ein Funkeln im grünen Laserlicht. „Das ist der ganz normale Feinstaub“, sagt der Meteorologe. „Die Partikel sind in einer Höhe bis zu zwei Kilometern in der Luft und beeinflussen das lokale Wetter.“
Vulkanasche aus Island
Die Staubteilchen, um die es den Tropos-Forschern geht, werden dagegen in einer Höhe ab drei Kilometer transportiert. Holger Baars und seine Kollegen haben dabei nicht nur den feinen Aschenstaub nach dem großen Vulkanausbruch auf Island im Jahr 2010 untersucht, sondern auch schon Aerosole von Bränden in Sibirien und Alaska. Und bei passendem Winden kann es passieren, dass Sahara-Staub auch einmal bis nach Deutschland gelangt. „Der Himmel sieht dann milchig aus, wie ein Schleier, man erkennt es also nicht sofort als Staubschicht.“
An diesem Abend gibt es jedoch keine Besonderheiten. Auf Partikel stößt der Laser nur bis in eine Höhe von 500 Metern. Danach ist ist die Atmosphäre klar. In zwölf Kilometer Höhe gibt es dann eine Wolkenschicht, die als roter Streifen auf einem Monitor erscheint. Auf neue spannende Messdaten hofft das Leipziger Institut, das dem europäischen Messverbund Earlinet mit 25 Stationen angehört, aber spätestens im Mai. Dann fahren die Forscher mit einem mobilen Laser auf dem Forschungsschiff „Polarstern“ bis nach Spitzbergen.