Die Mordnacht
Es ist der 6. Februar 2014: Das Wetter ist unüblich mild für diese Jahreszeit, auch in Halle. Temperaturen fast im zweistelligen Bereich, trocken – ideal, um sich auch Anfang Februar im Freien fit zu halten. Mariya Nakovska ist begeisterte Joggerin. Am späten Abend entschließt sich die 29-Jährige, ihre Laufschuhe anzuziehen und ihre gewohnte Laufrunde zu drehen. Gut gelaunt, so kennen sie ihre Freunde, joggt die Studentin aus Bulgarien vom Weinberg-Campus, vorbei am Peißnitzhaus bis zur Ziegelwiese. Stockdunkel und menschenleer ist es, als sie dort an der Fontäne ankommt – jenem Wasserspiel, das in Halle als beliebter Treffpunkt für Pärchen bekannt ist.
Hunderte Male ist Mariya Nakovska in den acht Jahren seit ihrer Ankunft immer wieder diese Runde gelaufen. Doch an diesem verhängnisvollen Abend ist etwas anders als sonst. „Mary“, wie ihre Freundin sie nennen, wird beobachtet. Der Weg, den sie entlang joggt, ist bis heute schlecht, stellenweise sogar überhaupt nicht beleuchtet.
Weiß sie, dass sie jemand verfolgt? Ahnt die Wahl-Hallenserin, was in den nächsten Minuten passieren wird? Ihren Mörder kennt sie nicht, das behaupten zumindest die Ermittler. Am nächsten Morgen wird die Studentin tot am Saaleufer in der Nähe des Neuwerks gefunden.
Die Ermittlungen
Kein Mordfall hat in letzten Jahren in der Region für so viel Aufsehen und Bestürzung gesorgt wie der Fall Mariya. Was bleibt, sind Fragen. Viele davon unbeantwortet. Am dringendsten wohl die Frage nach dem Täter. Auf diese Frage haben die Ermittler bis heute keine Antwort. Akribisch bearbeiten sie den Fall. Den Täter fassen sie trotz mehrerer tausend DNA-Tests und einer in der Region Halle noch nicht dagewesenen Handyauswertung nicht. Fast 20 Beamte gehören zu Spitzenzeiten der Mordkommission „Neuwerk“ an.
Staatsanwalt Klaus Wiechmann schildert im Gespräch mit der MZ, was die Kommission über den Tathergang herausgefunden hat: „Das Opfer hatte Kopfhöhrer auf. Der Täter griff sie in der Dunkelheit plötzlich von hinten an und zog ihr Hose und Schlüpfer herunter.“
Ob er sich auch sexuell an Mariya vergeht, ist bis heute ungeklärt. DNA-Spuren lassen dies vermuten. Unzweifelhaft ist hingegen, dass der Täter sein Opfer an diesem Abend erwürgt.
Lebloser Frauenkörper in Halle entdeckt
Ein Passant entdeckt einen leblosen Frauenkörper in einem Arm der Saale am Neuwerk in Halle. Hinweise auf ein Verbrechen gibt es laut ersten Informationen der Polizei nicht. Zum MZ-Artikel Die Identität der Toten ist noch nicht geklärt. Zur Identifizierung der Leiche veröffentlicht die Polizei ein Bild der Frau. Kriminaltechniker und Polizisten durchsuchen den Fundort am Neuwerk. Ein Tötungsverbrechen wird immer wahrscheinlicher. Vier Tage nach dem Fund wird die Leiche obduziert. Die Rechtsmedizin findet heraus, dass die Frau erwürgt wurde. Am 12. Februar gibt es erste Hinweise auf die Identität des Opfers. Offenbar handelt es sich bei ihr um eine 29 Jahre alte BWL-Studentin aus Bulgarien, die in Halle an der Martin-Luther-Universität eingeschrieben war.
Die Mordkommission übernimmt den Fall
Die Polizei bildet dike Mordkommission „Neuwerk“ mit vorerst sieben Ermittlern. Die Identität des Opfers ist nun zweifelsfrei geklärt. Die 29-Jährige ist Studentin Mariya Nakovska aus Bulgarien, die seit acht Jahren in Halle lebt. Sie studierte Wirtschaftswissenschaften und Russistik auf Bachelor und wohnte im Studentenwohnheim in der Kurt-Mothes-Straße 6.
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Mit Plakaten sucht die Polizei nach dem Täter. Dort wird erstmals der Tatzeitpunkt eingegrenzt. Es soll in der Nacht zum 7. Februar passiert sein. Der Ort, an dem die Studentin erwürgt worden ist, soll sich unweit der Fundstelle am Mühlgraben befinden.
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Mariya wird in die Heimat überführt und beigesetzt
Die Leiche von Mariya Nakovska wird nach Bulgarien überführt. Am 5. März übernahm ein Bestattungsunternehmen des Balkanlandes den Körper, um ihn nach Bulgarien zu bringen, wo es bestattet werden soll. Am 9. März findet die Bestattung in Bulgarien statt. Die Eltern und die beste Freundin sind die einzigen Trauergäste bei der Beerdigung.
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Ermittler setzen auf Funkzellabfrage
Die Ermittler setzten auf eine in Sachsen-Anhalt bislang einmalige Aktion. Mitarbeiter der Mordkommission „Neuwerk“ alle Personen anrufen, die zur Tatzeit in der Nähe des Tatortes nahe der Ziegelwiese waren und ihr Mobiltelefon eingeschaltet hatten. Wie die Staatsanwaltschaft bestätigte, hat das Amtsgericht die Erlaubnis zur sogenannten Funkzellenabfrage erteilt. Damit können sämtliche Handybenutzer ermittelt werden, die zur fraglichen Zeit in Mariyas Nähe waren und möglicherweise sogar mit ihr kommunizierten.
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Zwischen 1200 und 1400 sogenannte Verkehrsdaten sind der Sonderkommission „Neuwerk“ im Zuge einer Funkzellenabfrage übermittelt worden.
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Aktenzeichen XY berichtet – DNA-Spur gefunden
Holger Jungklaus, Leiter der Mordkommission (Moko) „Neuwerk“, bereitet gemeinsam mit dem ZDF den Fall für die Sendung „Aktenzeichen XY … ungelöst“ auf.
Der bisher wichtigste Anhaltspunkt, den die Beamten haben, ist eine DNA-Spur. Die wurde während der Obduktion von Mariyas Leiche sichergestellt. Die Ermittler um Moko-Chef Jungklaus gehen davon aus, dass es sich um Genmaterial des Täters handelt. In den Datenbanken der Polizei taucht diese DNA-Spur aber bisher nicht auf. Aus diesem Grund wurden bisher 1550 Männer zu einer freiwilligen Speichelprobe gebeten. Doch der erhoffte Treffer bleibt aus.
Nach der Ausstrahlung der Sendung „Aktenzeichen XY … ungelöst“ gibt es mehrere neue Hinweise. Allerdings bringt keiner davon eine heiße Spur.
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Ein Jahr nach der Tat: Kein Spur vom Täter
Auch ein Jahr nach dem Mord an der Studentin Mariya Nakovska gibt es keine Hinweise auf den Täter. „Wir haben alles gemacht, persönliches Umfeld, DNA, Handyverbindungen, und es ist nirgendwo etwas herausgekommen.“ Klaus Wiechmann von der Staatsanwaltschaft in Halle, die die Ermittlungen leitet, bestätigt das. „Sowohl das soziale Umfeld als auch der Wohnbereich wurden abgeklopft, wir haben Jogger befragt und neben einer molekular-genetischen Reihenuntersuchung auch eine Funkzellenauswertung durchgeführt“, beschreibt der Staatsanwalt.
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Gedenkstein soll an Mariya erinnern
Am Mühlgraben erinnert ein Gedenkstein an die vor einem Jahr getötete Studentin Mariya Nakovska Ihre Freunde hoffen so, die Erinnerung an die junge Frau aufrechterhalten zu können.
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Soko „Neuwerk“ aufgelöst
In Halle werden die Ermittlungen im Fall der ermordeten Studentin Mariya Nakovska eingestellt. Staatsanwalt Klaus Wiechmann sagte, dass alle Möglichkeiten, den Täter zu finden, ausgeschöpft seien. 2.500 Personen hätten freiwillig eine Speichelprobe abgegeben, Polizisten 4.600 Befragungen durchgeführt.
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Die Trauer
Familie, Freunde und Bekannte sind bestürzt. In Halle wird am Mühlgraben eine Gedenkstelle eingerichtet. Die Stadt zeigt ihre Anteilnahme, Blumen und Kerzen werden niedergelegt, in der Marktkirche gibt es eine Trauerfeier. Mehrere hundert Hallenser nehmen daran teil. Um die Überführung der Leiche in Mariyas Heimatland Bulgarien zu finanzieren, sammeln Freunde Spenden.
„Sie war ein herzensguter Mensch.“
Eine Freundin von Mariya
Ob ihre „Mary“ vielleicht noch lebte, als der Täter im Schutz der Dunkelheit verschwand? Das werden die Freunde der jungen Frau wohl nie erfahren. Lange kämpfen sie darum, den Tatort zu einem Ort des Gedenkens zu machen. Nicht zuletzt die ungeahnte Anteilnahme der Hallenser hat dazu beigetragen.
Heute erinnert ein mit Mariyas Handschrift gravierter Stein an die grausame Tat. „Mary“ steht darauf. Ihre beste Freundin, Elisabeth Goldenberg, sagte nach der Beisetzung in Bulgarien: „Sie war ein herzensguter Mensch.“