Das Szenario erscheint unvorstellbar: Beim größten Massensterben der Erdgeschichte werden 90 Prozent aller Arten im Meer ausgelöscht. Das Ökosystem steht unter enormem Druck. Die Wassertemperatur steigt, der Sauerstoffgehalt sinkt. Am Ende führt die Versauerung der Meere endgültig zum Kollaps – ein tödliches Trio. Ausgelöst wird die Ozeanversauerung vor 252 Millionen Jahren durch Vulkanausbrüche. In kurzer Zeit gelangen riesige Mengen Kohlendioxid (CO2) in die Atmosphäre. Einen großen Teil davon nehmen die Meere auf. Aus dem CO2 wird Kohlensäure, das Wasser wird saurer, der pH-Wert sinkt.
„Die Situation ist besorgnis- erregend.“
Prof. Simone Kasemann
Die Parallelen zur aktuellen Situation sind unverkennbar. Wieder steigen die Temperaturen. Wieder wird viel Kohlendioxid freigesetzt. Und wieder versauern die Ozeane. „Die Situation ist besorgniserregend“, sagt Prof. Simone Kasemann vom Zentrum für Marine Umweltwissenschaften (Marum). Die Bremer Wissenschaftlerin schließt nicht aus, dass es erneut zu einer ähnlich starken Versauerung wie damals im Erdzeitalter Perm kommt – mit zwei Unterschieden. Auslöser wären nicht Vulkanausbrüche, sondern das vom Menschen in die Atmosphäre geblasene Kohlendioxid. Und vor allem könnte diesmal alles viel schneller gehen. Während die Versauerung im Perm sich über 10 000 Jahren erstreckte, gehen die Experten heute davon aus, dass ein ähnliches Niveau der Versauerung in nur 250 Jahren erreicht werden könnte. „Viele Organismen hätten also noch weniger Zeit, sich an die ohnehin schwierigen Lebensbedingungen anzupassen“, sagt Kasemann. Das bestätigt auch Felix Mark vom Alfred-Wegener-Institut (AWI) in Bremerhaven. „Die Evolution kommt nicht mehr hinterher, es geht für viele Organismen einfach zu schnell.“
Das Video des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) zeigt die schwerwiegenden Folgen des zunehmenden Kohlendioxid-Ausstoßes für die Weltmeere.
Auf den ersten Blick erscheint das Phänomen dabei gar nicht als Problem. Im Gegenteil: Dadurch, dass die Ozeane CO2 aufnehmen, verlangsamt sich die Erderwärmung. Die Meere wirken wie ein Puffer und können einen Teil des CO2 problemlos binden. Aber es geht um enorme Mengen. Nach Schätzungen des Geomar Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung in Kiel haben die Menschen seit Beginn der Industriellen Revolution Mitte des 19. Jahrhunderts 440 Milliarden Tonnen Kohlendioxid in die Atmosphäre geblasen. Das entspricht knapp der 500-fachen Menge des jährlichen CO2-Ausstoßes in Deutschland. Und 25 Prozent des Kohlendioxids haben die Ozeane aufgenommen. Der Preis dafür ist aber hoch.
Wie in einem klimatisierten Haus in der Wüste
Die Versauerung ist vor allem eine schlechte Nachricht für Meeresbewohner, die Kalkschalen ausbilden – wie Flügelschnecken und Muscheln. Sie brauchen dadurch dafür mehr Energie. Eine mögliche Folge: Die Gehäuse werden dünner und bieten weniger Schutz oder lösen sich ganz auf. „Das saure Wasser greift oft direkt die Schalen an“, sagt AWI-Forscher Mark. Doch nicht nur das: Die dünnen Schalen sind auch leichter. Bislang führte ihr Gewicht dazu, dass die Lebewesen in die Tiefe sanken – und damit auch der Kohlenstoff in den Gehäusen. Dieser lagerte Jahrtausende sicher auf dem Grund. Entfällt der Ballast und sinken die Organismen nicht mehr in die Tiefe, kann dort auch weniger Kohlenstoff gespeichert werden. Betroffen sind auch Fischlarven, die nicht auf die Versauerung eingestellt sind und so gegensteuern müssen. „Das ist wie mit einem klimatisierten Haus in der Wüste, es kostet unheimlich viel Energie“, so Felix Mark. „Die Larven sind kräftemäßig am Limit; das schlägt sich auf die Überlebensraten nieder und damit nehmen die Populationen ab.“
Das folgende Video des AWI erklärt, warum die Arktis besonders von der Ozeanversauerung betroffen ist und was das für Kabeljau und Polardorsch heißt.
Auf den ersten Blick wirken die Daten zur Versauerung jedoch wenig dramatisch. So ist der pH-Wert des Meerwassers in den vergangenen 200 Jahren „nur“ von 8,2 auf 8,1 gesunken. Doch da die Werte logarithmisch gestaucht sind, entspricht dies einem Rückgang von 30 Prozent. Und der Trend dürfte sich beschleunigen. Bis zum Jahr 2100 rechnet das AWI mit einem weiteren Rückgang des pH-Wertes um 0,3 bis 0,4 Einheiten. Das heißt, das Wasser wird nochmals 100 bis 150 Prozent saurer. Das Geomar fürchtet „einschneidende Veränderungen für die Meeresumwelt“.
Einmaliges Grossraumlabor
Einen ersten Vorgeschmack bekamen Forscher des AWI vor Papua Neuguinea. Sie stellten fest, dass die Korallenriffe zwei Drittel des Zooplanktons verloren haben. Für den Lebensraum wichtige Tierarten sind wegen der Versauerung verschwunden – dort verursacht durch vulkanische Kohlendioxid-Quellen. Korallenexperte Prof. Claudio Richter spricht von einem einmaligen Großraumlabor. „Hier können wir unter natürlichen Bedingungen beobachten, wie sich die Riffe verändern werden, wenn die Weltmeere mehr und mehr Kohlendioxid aufnehmen und der Säuregrad steigt.“ Der erste Befund ist dennoch alarmierend. Denn bereits vor 56 Millionen Jahren verschwanden viele Korallenarten – bei der letzten großen Versauerung.