Magnete gießen ist, als würde jemand hunderte Wunderkerzen gleichzeitig abbrennen. Funken sprühen zu allen Seiten, während die glühende Flüssigkeit langsam aus der Schmelzpfanne in den dunklen Tiegel fließt. 100 Kilogramm Metall ergießen sich wie Wasser in den Bottich. Flammen züngeln nach oben und eine dichte Rauchsäule steigt in die Luft. Um die grell leuchtende Suppe herum stehen drei Mitarbeiter. Sie tragen getönte Brillen, um ihre Augen zu schützen. Die Männer beobachten den Bottich hochkonzentriert, als wäre er ein wildes Tier, das sie bändigen wollen. Dann, in dem Moment, in dem die Masse ganz aus der Schmelzpfanne geflossen ist, stürzen sie zum Tiegel. Nun muss es schnell gehen.
Das 360-Grad-Video aus dem Magnetwerk
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Es ist ein Spektakel, das sich da in der Produktionsstätte der Deutschen Magnetwerke abspielt. Aus der brodelnden Flüssigkeit werden hier Magnete hergestellt. Dauermagnete, um genau zu sein. Ein solches Guss-Verfahren ist in Deutschland kaum noch zu finden. Der Betrieb am Rande des Chemieparks in Bitterfeld-Wolfen ist einer der letzten seiner Art.
Die Firma hieß früher Guss Magnete Bitterfeld, das Kürzel GMB trägt sie noch immer im Namen. In Spitzenjahren produzierten über 30 Mitarbeiter im Dreischichtbetrieb 60 Tonnen Magnete. Heute ist es ein Bruchteil. „Das waren bessere Zeiten“, meint Klaus Spies. Er ist der Geschäftsführer der Magnetwerke. Eigentlich kommt er aus Iserlohn in Nordrhein-Westfalen. 2000 fragte ihn ein Geschäftspartner, ob er für ein Vierteljahr zu der mittelständischen Firma nach Bitterfeld wechseln könnte. „Seitdem bin ich hier“, sagt Spies.
Preise unter den Materialkosten
Der Ingenieur machte die Höhen Anfang des Jahrtausends mit. Und auch die Tiefen. Vor drei Jahren mussten die Magnetwerke Insolvenz anmelden. Fragt man Spies nach dem Warum, dann sagt er: „Die chinesische Konkurrenz hat uns platt gemacht.“ Mitte der 2000er-Jahre seien vermehrt Magnete aus dem asiatischen Land nach Deutschland gekommen. „Deren Preise für fertige Produkte lagen unter unseren Materialkosten.“
„Ich will nur deutlich machen, dass es ein Wettbewerb ist, den wir nicht gewinnen können.“
Klaus Spies
Wie den Magnetwerken ging es in dieser Zeit vielen Betrieben in der Metallbranche. Noch heute flutet etwa billiger chinesischer Stahl den europäischen Markt. „Die Chinesen bekommen ihre Rohstoffe vom Staat gesponsert und damit fast umsonst“, erklärt Spies. Er klingt dabei nicht wehklagend. „Ich will nur deutlich machen, dass es ein Wettbewerb ist, den wir nicht gewinnen können.“
In der Branche von GMB gingen in Folge des Preisverfalls die meisten Firmen zum Handel über. Sie kauften jetzt die Magnete in China und vertrieben sie dann. Für die Bitterfelder Gießer war das keine Option. Sie schrumpften zwar auf Mindestgröße, mit heute sechs Beschäftigten. Aber sie machten weiter als eine Art gallisches Dorf der Magnetindustrie. In seinem Büro hat Spies dazu einen Spruch des Schweizer Schriftstellers Max Frisch aufgehängt: „Eine Krise ist ein produktiver Zustand, man muss ihm nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen.“
Über 30 Schritte zum Magnet
Die Arbeiter gießen die dampfende Metallsuppe nun in Formen. So wird die Geometrie der Magnete festgelegt. Es muss schnell gehen, denn die Schmelze aus Eisen, Kobalt, Nickel, Aluminium und Kupfer kühlt sich rasant ab. Wenn das Gemisch aus dem Ofen kommt, ist es 1750 Grad heiß. Eine unglaubliche Hitze, die den Arbeitern Schweißperlen auf die Stirn treibt. Geschwind füllen sie die Flüssigkeit in die Formen, die aus einem mit Harz umzogenen Sand gebacken wurden. Der Harz verbrennt, was den Raum in einen süßen Duft hüllt und den Wunderkerzengeruch vertreibt.
Klaus Spies steht etwas abseits der Gieß-Prozedur. In die Industriekulisse des Backsteinbaus will der Ingenieur so recht nicht passen. Er trägt schwarze Lackschuhe und eine Fleece-Funktionsjacke, mit der er auch Teil einer Senioren-Reisegruppe sein könnte. Viele in seinem Alter würden diese Rolle sicher auch der Aufgabe vorziehen, eine Firma aus der Insolvenz zu führen. Spies ist 74 Jahre alt. Kann er nicht loslassen? „Ich bin hier einfach noch nicht fertig“, sagt er.
Der Geschäftsführer aus dem Westen ist mit dem Bitterfelder Unternehmen verwachsen. Das merkt man auch bei einem Gang mit ihm durch die riesigen Werkhallen, in denen man kaum jemandem begegnet. Spies bleibt alle zwei Meter stehen und erklärt mit einer fast kindlichen Begeisterung, was an den einzelnen Arbeitsplätzen gemacht wird oder einst gemacht wurde. Ausbacken, Sauberstrahlen, Putzen, Schleifen, Kontrollieren und so weiter. „Über 30 Schritten braucht es, um aus einem Haufen Metall einen Magneten zu fertigen“, sagt Spies.
Der wichtigste Vorgang, das Magnetisieren, ist dabei ein sehr komplexer Prozess. Einfach erklärt, läuft er so ab: Die gegossenen Metallteile werden noch einmal erhitzt und kühlen dann in einem starken Gleichstrom-Feld ab. Dabei entwickeln sie magnetische Kräfte in gewünschter Stärke. Allerdings werden die meisten der produzierten Stücke anschließend wieder neutralisiert, weil so Transport und Einbau leichter sind. Allerdings können ihre magnetischen Eigenschaften problemlos wieder hergestellt werden. Dazu reicht ein elektrischer Impuls aus. Meist wird der beim Kunden vor Ort verabreicht.
Erforschung neuer Werkstoffe
Klaus Spies läuft bei seinem Rundgang vorbei an Fertigungsstrecken, die längst stillgelegt sind. „Massenproduktion wie früher machen wir nicht mehr“, sagt er. In den Magnetwerken werde fast nur noch auf Kundenwunsch produziert. Die kleinen Metallrechtecke etwa, die gerade gegossen wurden, kommen später als Teil der Tonabnehmer in E-Gitarren. „Den Auftrag haben wir bekommen, weil wir genau das liefern konnten, was der Kunde sich gewünscht hat“, erklärt Spies. Die Rechtecke haben eine raue Struktur und eine altmodische Anmutung. „Die sollen so aussehen und sich so anfühlen wie die Tonabnehmer der ersten E-Gitarren aus den 50er Jahren.“
Automobilzulieferer, die Luftfahrtindustrie und Medizintechnik-Firmen sind Kunden in Bitterfeld. Ihre Wünsche zu erfüllen, erfordert viel Tüftelei. Doch das ist, was sie hier können. Ein notgedrungenes Konzept zwar, aber auch eines, das mittlerweile einen Investor angezogen hat. Im April, nach fast drei Jahren Insolvenz, stieg die Nickelhütte Aue, ein Metallhändler, bei den Magnetwerken ein. Ein guter Partner, schon allein, weil die Sachsen die Rohstoffe liefern, die Spies braucht. „Jetzt können wir wieder durchstarten“, ist der Geschäftsführer überzeugt.
Das Engagement des neuen Investors ist allerdings auch mit einer zweiten Kooperation verknüpft. Die Magnetwerke sind seit diesem Jahr auch Praxisparten des Fraunhofer-Instituts für Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen in Halle. Dort forschen Wissenschaftler an neuen Magneten, die bei gleicher Leistung weniger Material verbrauchen und so auch preiswerter sind. Details will Spies nicht verraten. Nur so viel: „Wir wollen mit den neuen Magneten unabhängig von den Chinesen werden.“ Die produzieren nämlich nicht nur billiger, sondern haben auch das Monopol auf manche Rohstoffe. Neodym zum Beispiel, ein Element, das in den derzeit stärksten Magneten enthalten ist, wird fast ausschließlich in dem asiatischen Land produziert.
Von solchen Abhängigkeiten will man sich mit der Forschung befreien. Die Magnetwerke sollen dabei helfen. Es ist diese Kooperation, an die auch Klaus Spies das Schicksal seines Betriebes gekettet sieht. Und damit auch seine eigene Zukunft. Wie lange er noch weitermachen wolle? „Zwei, drei, vielleicht auch vier Jahre“, sagt Spies. Solange eben, bis die neuen Produkte fertig seien. „Das will ich hier schon noch erleben“, meint der 74-Jährige. Die Magnete lassen ihn eben einfach nicht los.