Eine Glasscheibe kann manchmal glücklich machen. Sehr glücklich sogar. Nämlich dann, wenn sie einen von 8 000 Tonnen Müll trennt. Von einem riesigen Haufen aus alten Matratzen, Windeln, Holzlatten, Papierfetzen, Staubsaugerbeuteln, Glühbirnen, Zigarettenkippen – also von all dem Unrat, den Menschen in den Abfall werfen. Ein stinkender Haufen muss das sein. Doch hinter dem Glas in der Krankanzel der Müllverbrennungsanlage riecht man den Abfallberg nicht. Man sieht ihn nur.
Die Müllverbrennung im 360-Grad-Video
Wie funktionieren 360-Grad-Videos? Antworten gibt es auf unserer Extraseite! Wer das Rund-Um-Video in Vollbildmodus sehen will, der kann das unter diesem Link tun. Und wer es mit einer VR-Brille ansehen möchte, sollte den Youtube-Link benutzen.
Und dieser Anblick des Müllhaufens ist es, der Michael Hofmann erfreut. „Das ist unsere Kohle“, sagt der Geschäftsführer von TREA Leuna. Die Abkürzung steht für „Thermische Restabfallbehandlungs- und Energieerzeugungsanlage“. Ein etwas überdimensioniertes Wortgeflecht, das aber recht genau beschreibt, was in dem Industriebau am Rande des Chemieparks Leuna gemacht wird. Das Gebäude ist ein Kraftwerk, das Strom und Wärme produziert. Nur dass hier nicht mit Kohle oder Gas geheizt wird, sondern mit Müll.
80 Prozent importierter Müll
Michael Hofmann steht in der Krankanzel, jenem vollverglasten Raum, der in den sogenannten Müllbunker hineinragt. Die riesige Halle wird von grauen Betonwänden begrenzt. Sie ist der Ort, an dem der Abfall, der zuvor per Lkw oder Zug angeliefert wurde, gesammelt wird. „Unser Müll kommt zur Hälfte aus der Industrie, etwa von Wertstoffhöfen oder Baustellen“, sagt der 56-Jährige. „Die anderen 50 Prozent sind normaler Hausmüll aus der grauen oder schwarzen Tonne.“ Der andere Abfall – Papier, Wertstoffe und Biomüll – wird nicht verbrannt. „Das kommt in eigene Kreisläufe und wird auch verwertet“, erklärt Hofmann.
Ist der Müll im Bunker gelandet, graben ihn drei an der Decke befestigte Kräne um. Die sechs Tonnen schweren Greifer werden von Mitarbeitern in der Krankanzel gesteuert, die in Stühlen sitzen, die auch in ein Raumschiff passen würden: Viele Knöpfe und links wie rechts ein Joystick. „Wir durchmischen den Müll, um eine möglichst homogene Masse zu bekommen“, erklärt Hofmann. So behandelter Abfall ist nämlich ein guter Brennstoff: „Durch die Mischung haben wir einen konstanten Heizwert, der etwas höher ist als der von Rohbraunkohle.“
Auch deswegen ist Abfall ein durchaus begehrtes Gut, für das ein, wie Hofmann es sagt, “ganz schön harter Markt“ entstanden ist. Diese Entwicklung begann mit einer Gesetzesänderung im Jahr 2005. „Damals wurde festgelegt, dass Hausmüll nicht mehr auf Deponien abgelegt werden darf“, erzählt Hofmann. Man hatte nämlich gemerkt, dass diese jahrzehntelange Praxis die Umwelt enorm belastet. Der Müll beginnt nämlich zu gären, wobei klimaschädliches Methan entsteht. Zudem sickert verunreinigtes Wasser in den Boden und verseucht diesen.
„Unser Müll kommt aus Haushalten in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen.“
Michael Hofmann
Andere Wege der Müllentsorgung mussten nun her. Eine Lösung waren die thermischen Verwertungsanlagen. Die schossen seit 2005 bundesweit wie Pilze aus dem Boden. Auch die TREA Leuna begann in diesem Jahr mit dem Verbrennen. Betreiber ist MVV Energie, eine Aktiengesellschaft, die einst das Stadtwerk von Mannheim war, der Stadt aber längst entwachsen ist. 6 000 Mitarbeiter hat MVV europaweit. 2015 lag der Umsatz bei 3,4 Milliarden Euro.
Anfangs waren die Bedingungen für die Müllverbrenner paradiesisch. Die Kommunen und Abfallentsorger mussten ihren Müll loswerden und schlossen deswegen Verträge, von denen einige noch heute laufen. Allerdings drängten immer mehr Betreiber auf den Müll-Markt, der auch deswegen attraktiv ist, weil die Produzenten des Brennstoffs dafür bezahlen, ihn loszuwerden. Allein in Sachsen-Anhalt gibt es mittlerweile sieben Verbrennungsanlagen mit einer Kapazität von 2,3 Millionen Tonnen Abfall. Kurios daran: Die Haushalte im Land produzieren gerade einmal eine Million Tonnen Müll, von denen der größere Teil recycelt wird.
Die Auslastung der Kraftwerke wird deswegen mit Industrieabfall gesichert. Und mit Importen: „Unser Müll kommt aus Haushalten in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen“, sagt Michael Hofmann. Auch von entfernteren Orten wurde schon nach Leuna geliefert. 2009 etwa luden Züge aus Italien Abfall in den TREA-Bunker. „Und derzeit kommt etwas Müll aus Großbritannien zu uns“, sagt Hofmann. Allerdings handele es sich dabei nur um gut 5 000 Tonnen – eine eher geringe Menge.
Solche Importe werden durchaus auch kritisch gesehen. Bei einer Landtagsdebatte vor zwei Wochen stellte die Abgeordnete Kerstin Eisenreich (Die Linke) fest: „Schon heute stammen circa 80 Prozent des in Sachsen-Anhalt entsorgten Mülls nicht aus unserem Land.“ Sie fragte daraufhin: „Wollen wir zulassen, dass unser Land zur Müllkippe Europas verkommt?“ Am Ende der Debatte stimmte das Plenum dafür, den Import von Müll zumindest reduzieren zu wollen.
100-prozentige Vewertung
Auswirkungen hat solch ein Beschluss freilich noch nicht. Wegzudenken sind die Verbrennungsanlagen derzeit ohnehin nicht. Das Umweltbundesamt bezeichnet sie als „tragende Säulen der Abfallentsorgung“. Und auch Michael Hofmann ist überzeugt, dass die thermische Zersetzung bei Müll, der nicht anders verwertet werden kann, der richtige Weg ist. „Wir verwerten den Abfall hier zu 100 Prozent“, sagt er.
Die wichtigsten Produkte dabei sind Strom und Dampf. Erzeugt werden beide im Kesselhaus, dass sich direkt an den Müllbunker anschließt. Der Ofen hier läuft rund um die Uhr. Beobachten kann man das Treiben in seinem Inneren nur durch ein kleines Fenster, hinter dem sich eine dunkle Masse über den Rost schiebt. „Da drin sind bis zu 1 000 Grad Celsius“, sagt Hofmann. Ebenso heiß ist auch das Rauchgas, das bei der Verbrennung entsteht.
Es steigt im Ofen auf und wird anschließend an mit Wasser gefüllten Rohren vorbeigeführt. In diesen bildet sich Wasserdampf, der mit einem Druck von 40 Bar durch die Leitungen schießt. „Mit dem Dampf werden dann Turbinen angetrieben, die wiederum Strom erzeugen.“ Und der geht, ebenso wie ein Teil des Dampfes, direkt an die InfraLeuna. Seit 2012 gibt es diese Kooperation zwischen MVV und dem Betreiber des Chemiestandortes. „Wir können Strom und Dampf relativ günstig erzeugen, was wiederum den energieintensiven Unternehmen hier zugute kommt“, sagt Hofmann.
Auch was abseits von Strom und Dampf übrig bleibt, wird noch verwertet. Etwa 30 Prozent der ursprünglichen Müllmasse verbrennen nicht. Das sind vor allem Metalle und mineralische Bestandteile, die entweder recycelt oder aufbereitet zum Beispiel im Straßenbau genutzt werden. Und sogar der Staub, der bei der Filterung des Rauchgases anfällt, erfüllt noch einen Zweck. „Der wird unter Tage zum Füllen von Bergwerken verwendet.“
Was nach diesen Verwertungsschritten vom Müll übrig ist, gelangt durch die Schornsteine des Kraftwerks in den Himmel. „Was da oben rauskommt, ist staubfreier als die normale Luft“, sagt Hofmann. Die Emissions-Auflagen für die Kraftwerke seien zurecht knallhart. Der TREA-Chef ist deswegen überzeugt, dass sein Geschäft mit dem Müll ein umweltfreundliches ist.