Die Stange Porree versetzt Tamika in helle Aufregung. Das Gemüse wandert gerade eine Etage über ihr in das Maul von Mutter Tana. Nun will das kleine Elefantenmädchen natürlich auch etwas haben. Tamika tänzelt in ihrem Stall im Elefantenhaus Halle hin und her. Dabei nestelt sie mit ihrem Mini-Rüssel an Pfleger Norman Hase so lange herum, bis der 37-Jährige sich endlich hinkniet. Er streichelt dem fünf Monate alten Kalb über den Kopf. Dann reicht er ihr ein Stück Apfel, das sogleich in ihrem Maul verschwindet.
Die Szene wiederholt sich noch einige Male im Elefantenhaus in Halle – nicht nur beim Tier-Mensch-Trio Tamika, Tana und Hase. Auch zwei Stallboxen weiter geht es ähnlich zu. Dort mampft Elefantenkuh Panya genüsslich ein Bündel Stroh, während zu ihren Füßen Sohn Ayo mit seinem Rüssel durch das Gesicht von Pfleger Marcel Wagner streift. Der krault dem Elefantenjungen die Ohren. Dann bekommt auch Ayo eine kleine Leckerei.
Das Elefantenhaus im 360-Grad-Video
Wie funktionieren 360-Grad-Videos? Antworten gibt es auf unserer Extraseite! Wer das Rund-Um-Video in Vollbildmodus sehen will, der kann das unter diesem Link tun. Und wer es mit einer VR-Brille ansehen möchte, sollte den Youtube-Link benutzen.
Es ist ein putziges Schauspiel, das Dennis Müller mit zufriedener Mine verfolgt. Er ist der Direktor des Zoos in Halle und steht mit etwas Abstand zu Pflegern und Tieren in der Mitte des halbrunden Elefantenhauses in Halle. „Vor Tamika wurde jahrelang in Mitteldeutschland kein Kalb geboren“, erzählt der 33-jährige Veterinärmediziner. Deswegen sei in der Region, aber auch deutschlandweit das Interesse nach der Geburt Ende Juni schon sehr groß gewesen. „Aber als Ayo dann fünf Wochen später zur Welt kam, wurde die Aufmerksamkeit auch international riesig.“
Besucherstärkstes Jahr
Für einen Zoo ist bereits ein Elefantenkind ein Glücksfall. Gleich zwei zu haben, ist eine Sensation – auch im weltweiten Maßstab. Das macht sich in Halle an mehreren Stellen bemerkbar. Bei der Facebookseite des Elefantenhauses zum Beispiel: Die hat mittlerweile fast 12 000 Gefällt-mir-Klicks – das sind nur 2 000 weniger als der gesamte Zoo. Und auch an den Kassen sind die Geburten spürbar. Das Elefantenhaus ist zum Besuchermagneten geworden. „Seit die beiden Kleinen da sind, begrüßen wir deutlich mehr Gäste“, sagt Müller. 2016 werde das mit Abstand besucherstärkste Jahr seit der Wende.
Es ist allerdings nicht nur der menschliche Zuspruch, der den Zoodirektor freut. „Unser doppelter Nachwuchs ist auch ein großer, enorm wichtiger Zuchterfolg“, meint Müller. Ayo und Tamika sind afrikanische Elefanten. Sie gehören also zur größeren Version der Dickhäuter. Für die gibt es erst seit 23 Jahren ein eigenes Zuchtprogramm. In Europa werden derzeit pro Jahr zwischen vier und fünf Kälbern geboren. Dass nun zwei davon aus Halle kommen, war aber eigentlich gar nicht geplant.
Mitte der 2000er Jahre entschied man sich im Bergzoo, eine neues Elefantenhaus zu bauen – um asiatische Elefanten zu züchten. Aus diesem Vorhaben wurde aber nichts, was mit einem tragischen Unglück zu tun hat. 2005 tötete der afrikanische Elefantenbulle Abu im Tiergarten Wien-Schönbrunn seinen Pfleger. Abu ist heute der Vater von Ayo und Tamika.
38 Menschen getötet, 175 verletzt
Seine Attacke damals war aber durchaus kein Einzelfall. Elefanten gelten nämlich als die gefährlichsten Tiere in Gefangenschaft. Eine Statistik verdeutlicht das: Seit 1982 gab es in Europa und Nordamerika 258 Unfälle mit Elefanten in Zoos und Safariparks. Dabei wurden 38 Menschen getötet und 175 verletzt. Diese Daten hat der Verein „Elefanten-Schutz Europa“ gesammelt, der sich für die Belange der grauen Riesen einsetzt.
„Die Unfallzahlen sind aber deutlich rückläufig“, sagt Olaf Töffels, zweiter Vorsitzender des Vereins. Nach Abu habe es in Europa nur noch einen tödlichen Vorfall gegeben. „In Moskau brachte 2007 eine Afrikanerkuh ihre Pflegerin um.“ Das mittlerweile weniger passiere, habe einen Hauptgrund: Die zunehmende Einführung der Haltung im geschützten Kontakt.
Was darunter zu verstehen ist, lässt sich in Halle gut beobachten. Beim Füttern und Streicheln ist zwischen den Pflegern Norman Hase und Marcel Wagner und den Tieren immer ein Gitter. „Wir gehen nicht mehr das Risiko ein, dass die Pfleger direkt neben den Tieren stehen“, erklärt Müller. Diese Art der Haltung ist auch eine Lehre aus den vielen Unfällen. „Mindestens genauso wichtig wie die Sicherheit des Pflegers ist dabei die Sicherheit des Tieres“, betont der Zoodirektor.
Die große Tradition in der Haltung sei nämlich der direkte Kontakt. „Dabei ist der Pfleger Teil der Herde und sogar das Leittier“, erklärt Müller. Und als solches muss er die Gruppe auch dominieren. „Dazu setzte man Zwangsmittel wie Pike oder Elefantenhaken ein.“ Im geschützten Kontakt fallen solche Instrumente weg. „Wir wollen, dass die Herde sich selbst organisiert und die Mitarbeit der Tiere auf Freiwilligkeit und dem reinen Belohnungsprinzip basiert.“
WG der Problemelefanten
Nach dem tödlichen Vorfall mit Abu wollte der Tierpark in Wien ihn und seine Mutter Sabi schnellstmöglich abgeben. Dort war aufgrund der baulichen Bedingungen nur die Haltung in direktem Kontakt möglich. Halle, wo die neue Anlage gerade fertig wurde und geschützter Kontakt möglich war, half aus. Bis heute ist man bei den afrikanischen Elefanten geblieben.
In der Folge entwickelte sich im Bergzoo eine Art WG der Problemelefanten. „Es kamen dann einige Tiere dazu, die zuvor Probleme gemacht haben und deswegen in den geschützten Kontakt mussten“, sagt Pfleger Norman Hase. Er kennt beide Haltungsarten aus eigener Erfahrung. „Natürlich waren wir im direkten Kontakt enger an den Elefanten dran“, sagt er. Aber auch jetzt können man gut mit den Tieren arbeiten und ihnen Kommandos beibringen. „Im Prinzip leben nun beide Seiten ruhiger.“
Ruhiger? Zumindest für Ayo und Tamika gilt das nach dem Essen erst einmal nicht. Die Mini-Rüsseltiere toben im Elefantenhaus durch ihre Boxen. Wie es mit ihnen weitergeht, planen Dennis Müller und die Pfleger bereits. „Tamika und Mutter Tana sollen bleiben“, sagt der Direktor. Das bedeutet allerdings auch, dass die beiden Bullen Ayo und Abu gehen müssen, schließlich sind sie mit Tamika verwandt. Der Glücksfall der doppelten Elefantengeburt bringt so auch Abschiede mit sich. Doch derzeit stehen im Bergzoo erst einmal noch die schönen Seiten des Nachwuchses im Vordergrund.