Die Welt des weißen Goldes

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Langsam bremst Torsten Mersch den Mercedes-Pick-up ab. Die Scheinwerfer des Wagens – Typ Safari-Jeep – verlieren sich im Dunkel des Ganges. Mersch schaut kurz irritiert in die schwarze Weite vor sich. „Irgendwie sind wir hier nicht richtig“, sagt er. Ein Navigationsgerät hat der 51-Jährige nicht zur Hand. Es würde ihm allerdings auch wenig nutzen. Immerhin befindet er sich 500 Meter unter der Oberfläche, im Steinsalzbergwerk Bernburg. Merschs Irritation dauert allerdings auch nicht lange. „Falsch abgebogen“, sagt er nach wenigen Sekunden und legt den Rückwärtsgang ein.

360-Grad-Video: Unterwegs im Salzbergwerk

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Es ist das einzige Mal in mehreren Stunden unter Tage, dass Mersch sich verfährt. Dabei wäre es durchaus verständlich, wenn er noch öfter den richtigen Abzweig verpasst hätte. Immerhin arbeitet er in einem unterirdischen Reich, dessen Straßennetz so weitläufig wie das einer mittleren Kleinstadt ist. Es erstreckt sich über 38 Quadratkilometer, eine Fläche so groß wie 3 500 Fußballfelder. Seit mehr als 100 Jahren wird dieses Gebiet, das sich westlich von Bernburg bis nach Güsten ausbreitet, bereits nach Salz durchpflügt. Dabei entstand eine Welt, die außer den 470 Bergleuten, die hier arbeiten, kaum jemand kennt. Und der Chef in dieser Welt ist Torsten Mersch.

Der 51-Jährige kommt – wie sollte es in dieser Branche anders sein – aus dem Ruhrpott. Im niedersächsischen Clausthal hat er Bergbauwesen studiert, seit 17 Jahren arbeitet er in Bernburg. Er leitet hier die unter Tage-Produktion beim Bergwerk-Betreiber esco (European Salt Company). Das Unternehmen ist der größte Steinsalzproduzent Europas und gehört zu K+S, dem größten Salzkonzern der Welt.

Zehn Tonnen schwere Salzbrocken

Als Mersch sich im Gewirr der Gänge verirrt, ist er gerade auf dem Weg zu einer Art Aussichtspunkt. „Von da oben hat man einen guten Blick in die Kammer“, sagt der Produktionsleiter. Er parkt den Wagen an einer Klippe, die mit Fangzäunen gesichert ist. Dahinter erstreckt sich eine riesige Halle, die Salzkammer. Deren Ausmaße sind gigantisch: 35 Meter schießen die glatten Wände in die Höhe. 400 Meter ist die Halle lang und 20 Meter breit. Locker könnte man hier 20 000 Mittelklasse-PKW hineinstapeln. Gerade fährt jedoch ein überdimensionierte Radlader Salzbrocken, von denen einige bis zu zehn Tonnen wiegen, aus der Halle raus.

Im Bergwerk gibt es zahlreiche solcher Kammern. Sie liegen in der salzhaltigen Schicht, die etwa 300 Meter unter der Erdoberfläche beginnt und bis zu einer Tiefe von 600 Metern reicht. „Wir nehmen nur den mittleren Bereich, weil der die Qualität hat, die wir für unsere Produkte brauchen“, erklärt Mersch. Der Abbau beginnt immer damit, dass Gänge in die ertragreichsten Lagerstätten gebohrt werden. Links und rechts davon werden dann die Salzkammern angelegt. Sie sind der Ort, an dem das weiße Gold, das Natriumchlorid (NaCl), gewonnen wird.

Um das Salz herauszulösen, wird auch unter Tage Sprengstoff eingesetzt. „Wir benutzen mit Diesel vermischtes Ammonium-Nitrat, das in Bohrlöcher gefüllt und dann zur Explosion gebracht wird“, sagt Produktionsleiter Mersch. Ganz vereinfacht kann man sich das Salzpaket, das abgebaut werden soll, wie ein Stück Käse vorstellen. Von dem wird Scheibe für Scheibe abgeschnitten oder eben abgesprengt. Eine solche Scheibe ist mehr als 30 Meter hoch und wiegt gut 5 000 Tonnen. Mindestens einen Tag braucht einer der Riesen-Radlader, um den Haufen Salz aus der Kammer zu fahren.

Seit 1912 wird rund um Bernburg das weiße Gold abgebaut. Damals zuerst Kalisalz, was auch historische Gründe hat. Die Region ist nämlich die Wiege des Kalibergbaus. Nicht umsonst heißt der Kreis, in dem Bernburg liegt, auch Salzlandkreis. Im 20 Kilometer entfernten Staßfurt wurden Mitte des 19. Jahrhunderts die ersten Kalischächte angelegt. Es folgte, was heute als „Kaliboom“ bezeichnet wird. Das Salz eignete sich hervorragend als Dünger und Revolutionierte die Landwirtschaft. Überall wurde nach neuen Lagerstätten gesucht – auch unter Bernburg. Dort wird allerdings seit den 70er Jahren schon kein Kali mehr gefördert. Der Abbau hatte sich nicht mehr gelohnt. Stattdessen wurde  nur noch Steinsalz gefördert – ein Geschäft, das  bis heute floriert.

Bernburger Salz mit Spitzenwerten

Torsten Mersch blickt von der Klippe nach unten: „Hier sind wir fast fertig mit dem Abbau“, meint er und steigt zurück in den Safari-Jeep. Es geht runter, in die Kammer. Die Fahrt führt durch die Salzröhren, die im Licht des Scheinwerfers alle gleich wirken. Es ist warm in 500 Metern Tiefe. Die Temperatur liegt konstant bei 25 Grad Celsius. Ein angenehmer Wert. Allerdings ist die Luft trocken. Sehr trocken sogar. Logisch: Das Salz entzieht die Feuchtigkeit, deren Anteil gerade mal bei 30 Prozent liegt. Der schöne Nebeneffekt: Hier unten rostet fast nichts.

  • Ein Blick aus 30 Metern Höhe in eine der Salzkammer im Bergwerk Bernburg. (Foto: Andreas Stedtler)

Torsten Mersch hält im Vorraum zu der riesigen Kammer. Vor einer Art Steinmühle liegt dort ein Haufen Salz. Er nimmt einen der kleineren Brocken und hält seine Grubenlampe daran. Das Stück funkelt wie ein Diamant. „Bei uns hat das Salz einen Mindestanteil von 99 Prozent Natriumchlorid.“ Manchmal liege er sogar bei 99,6 Prozent. Europaweit sei das ein Spitzenwert.

Aus dem Rohstoff werden etwa 100 verschiedene Produkte hergestellt – vom Pökel- bis zum Geschirrspülersalz. Hochkonjunktur herrscht im Winter, wenn die wichtigste Bernburger Ware nachgefragt wird: Streusalz. „Das exportieren wir bis nach Skandinavien“, sagt Mersch. Bis zu 12 500 Tonnen Salz verlassen pro Tag das Bergwerk. Die Verarbeitung findet in einer Fabrik über Tage statt. Um dorthin zu gelangen, muss der Rohstoff unterirdisch sieben Kilometer zurücklegen. Soweit hat sich das Abbaugebiet bereits vom Förderturm entfernt. Und das diese Ausdehnung noch weiter geht, da ist sich Mersch sicher: „Die Vorräte im genehmigten Abbaugebiet reichen nach derzeitigen Schätzungen noch 40 Jahre.“

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