Der größte Teil des menschlichen Körpers wird zu Rauch. Haut, Haare, Muskeln, Flüssigkeiten – alles verschwindet als weiße Dampfsäule im Himmel über dem Krematorium. Was hingegen von der Hitze nicht bis auf Molekülgröße zersetzt werden kann, landet in einem Blechkasten, der so groß ist wie eine Auflaufform. Ein Haufen dunkelgraue Asche, drei bis vier Kilogramm schwer, ein Gemisch aus Kalzium und anderen mineralischen Substanzen. Das ist es, was von einem Menschen bleibt. Zumindest dort, wo Frank Pasic arbeitet.
Der 45-jährige Jurist ist einer von zwei Geschäftsführern der Flamarium GmbH. Sein Unternehmen führt Feuerbestattungen durch, also jene Art der Bestattung, die bei neun von zehn Verstorbenen in Sachsen-Anhalt durchgeführt wird. „Wir äschern 18 000 Menschen pro Jahr ein“, sagt Pasic. Das sind fast 50 pro Tag. Etwa ein Drittel davon am älteren Standort auf dem Gertraudenfriedhof in Halle. Alle anderen werden in Osmünde verbrannt. Das Krematorium dort gibt es seit 2004. Es ist eines der größten in Mitteldeutschland.Dem Bau am Rande des Saalekreis-Ortes sieht man seine Funktion allerdings kaum an. Alles ist hell gestaltet. Bunte Farben zieren die Fassade. „Es gab schon Leute, die kamen zu uns und dachten, wir wären ein Spaßbad“, erzählt Frank Pasic. Er steht in der Anlieferungszone des Flamariums. Um ihn herum halten im Minutentakt Transporter und laden Särge aus. Für Pasic ist das Alltag. Und den will er auf einem Rundgang vorführen. Zeigen, was mit einem Menschen auf seinem letzten Weg passiert.
60 Minuten Minimum
Pasic folgt einem der Särge ins Innere des Gebäudes. Die Assoziation mit dem Spaßbad, sagt er, sei für ihn nicht negativ. „Es ginge vielleicht zu weit, zu sagen, dass die Hinterbliebenen sich hier wohlfühlen sollen. Aber wir wollen zumindest ihren Schmerz nicht durch die Gestaltung verstärken.“ Pasic spricht ganz unaufgeregt und ruhig über seinen Job. Er weiß um die emotionale Seite des Berufs, doch geht er mit ihm auch pragmatisch um: „Letztlich ist das Einäschern eine Dienstleistung, wenn auch eine Besondere.“
Jeder Verstorbene durchläuft im Krematorium die gleichen Stationen. Zuerst kommen die Särge in die Kühlkammer. Frank Pasic öffnet eine dicke Tür. Es wird laut, weil die Klimaanlage unaufhörlich röhrt. Und natürlich wird es kalt. „Hier sind immer fünf bis sechs Grad“, sagt der Flamarium-Chef. Der geflieste Raum wirkt kühl und steril. Überall stehen Särge. Voll allerdings ist es nicht. 130 der Holzkisten passen maximal in die Kammer. Derzeit sind es etwa 50. Manche bestehen nur aus schlichtem, hellem Holz. Andere sind wuchtiger, aus dunkelbrauner Eiche und mit schweren Metallgriffen verziert. Auf den Särgen stehen mit Kreide geschriebene Zahlen, die den Inhalt identifizieren: Wer ist drin, wann gestorben, welcher Bestatter? Spätestens nach drei Tagen sind alle Unterlagen da. Dann geht es in den nächsten Raum.
Auf Kälte folgt damit fast nahtlos Hitze. Kühlkammer und Ofenanlage trennt nur eine massive Eisentür. Pasic schiebt sie zur Seite. Es wird warm. Gerade sind alle Öfen besetzt. Drei gibt es im Flamarium. „Die laufen bei uns rund um die Uhr.“ Das habe nicht nur mit der Masse, die sie bewältigen müssen, zu tun. Es sei auch energetisch besser. „Unsere Öfen sind bis zu 1000 Grad heiß“, sagt Pasic. Würde man sie immer aus und an stellen, wäre der Energieverbrauch immens. Solche Effizienz-Überlegungen sind wichtig, denn Krematorien müssen strikte Umweltauflagen erfüllen. Beim Schadstoffausstoß etwa gibt es eigene Verordnungen für sie. Deswegen durchlaufen die Verbrennungsgase zig Filter, bevor sie in den Himmel gepustet werden.
An der Technik wird ohnehin stetig gefeilt. Allerdings spielen nicht immer Umweltbelange eine Rolle. Der neueste Ofen ist zum Beispiel erst zwei Jahre alt und extrabreit. „Den haben wir nachgerüstet, weil wir vor drei Jahren mal ein Verstorbenen ablehnen mussten“, erklärt Pasic. Der war nämlich zu schwer. „Ohne Sarg wog er schon 400 Kilo.“ In den Ofen hätte er kaum gepasst. Und auch wenn: „Durch die enorme Energieentwicklung bestand die Gefahr, dass etwas kaputt geht“, meint Pasic. Beim neuen Gerät mit XXL-Brennkammer garantiert der Hersteller nun problemlose Einäscherungen bis 450 Kilogramm.
Der Sarg entzündet sich von allein
Die Verbrennung ist dabei ein voll automatisierter Prozess. Eine Einfahrmaschine befördert den Sarg in den Ofen. Anders als oft vermutet, schlagen einem aus diesem aber keine Flammen entgegen. „Einige Leute denken, wir würden die Särge ins lodernde Feuer werfen“, sagt Pasic. Das stimmt aber nicht. Aus dem geöffneten Ofen, dringt zwar ein rötlich-gelbes Glühen nach außen. Allerdings erzeugen das die aufgeheizten Steine, die das Innere auskleiden. Bis zu 700 Grad Celsius herrschen in diesem obersten Bereich. „Wegen der Temperaturen entzündet sich der Sarg im Ofen sofort selbst“, erklärt Pasic.
Die Flammen zerstören zuerst den Deckel. Dann verbrennt der Körper. „Die Haut reißt auf“, erklärt Pasic. Flüssigkeiten gehen verloren. Alles was nicht verdampft, wird im unteren Sargteil aufgefangen. Das Skelett natürlich, aber auch Teile von Organen wie Lunge, Herz oder Leber. Wenn der Sarg komplett verbrannt ist, fällt dieser Rest auf eine Trennscheibe und von dort in die nächste Kammer. „Dort findet dann die Mineralisierung statt.“ Das bedeutet: Bei Temperaturen bis 1 000 Grad Celsius werden die Körperteile fast vollständig zersetzt. Übrig bleibt dann nur die dunkelgraue Asche.
Überwacht wird der Prozess die gesamte Zeit. Ein Betriebsleiter verfolgt die Vorgänge im Ofen. Eingreifen kann er allerdings nicht. Das ist nicht gewollt, denn der thermischen Zersetzung soll Zeit gegeben werden. Etwas mehr als 60 Minuten dauert die gesamte Prozedur. „Es ist der gleiche Zerstörungsprozess, der auch bei Erdbestattung geschieht – dort nur viel langsamer und auf chemischen Wege“, sagt Pasic. Allerdings seien die 60 Minuten auch die absolute Untergrenze. „Es ginge schon schneller“, meint der Geschäftsführer. Doch: „Wir wollen keine Massenabfertigung“, sagt Pasic. Immerhin seien es ja Menschen, die verbrannt werden. Deren Würde wird auch auf ihrem letzten Weg noch respektiert.
Am unteren Ende des zweietagigen Ofens fällt die Asche in das auflaufformgroße Blech. Anschließend wird sie untersucht, denn in den Rückständen befinden sich oft noch Fremdkörper: Sargnägel etwa oder auch künstliche Gelenke. „Solche Sachen werden von einem Mitarbeiter per Hand aussortiert“, sagt Pasic. Wertvolle Gegenstände wie Goldzähne kommen aber mit in die Urne. Bevor die Asche allerdings in das schlichte schwarze Gefäß aus abbaubarer Maisstärke gefüllt wird, muss sie noch gemahlen werden. „Besonders dicke Knochen gehen auch im Ofen nicht komplett kaputt“, erklärt Pasic.
Einige Urnen bleiben in Osmünde
Mit der befüllten Urne hat das Krematorium seinen Auftrag eigentlich erfüllt. „Die Beisetzung übernimmt dann der Bestatter“, sagt er. Einige der Urnen bleiben jedoch in Osmünde. „2003 wurde das Gelände rund um das Flamarium zu einem Friedhof umgewandelt“, sagt Pasic. Traditionell werden Krematorien nur auf gewidmeten Flächen gebaut. „Für uns bot das auch die Möglichkeit, anonyme Urnengräber anzubieten.“ Die gestiegen Nachfrage nach dieser Form der Bestattung sei 2003 schließlich auch ein wichtiger Grund gewesen, im Saalekereis neu zu bauen.
Allerdings legten sie nicht, wie das auf Friedhöfen oft üblich ist, eine grüne Wiese für die anonymen Bestattungen an. „Die Gräber sind mit Pflanzen und anderen Elementen gestaltet“, sagt Pasic. Und es gibt auch Namensplaketten. „Wir haben festgestellt, dass die Angehörigen von anonym Bestatteten doch einen festen Platz suchen, um zu Trauern“, meint der Flamarium-Geschäftsführer. Denn zumindest für ihre Angehörigen sind die Toten dann doch weit mehr als nur Asche und Rauch.