Lange Strecken zu laufen, das sollten man als Soldat gewohnt sein. In der Grundausbildung ist ja der ein oder anderen ausgedehnten Fußmarsch Pflicht. Unter einem Berg kilometerweit zu stiefeln – das allerdings kommt bei der Bundeswehr eher selten vor. In der Kaserne in Blankenburg gehört es zum Alltag. Dort befindet sich nämlich ein Bundeswehr-Bunker – allerdings keiner der kleineren Sorte. Über eine Länge von acht Kilometern erstrecken sich die Gänge unter dem Regenstein-Felsmassiv am Rande des Harzes. Da kann man sich schon einmal Blasen laufen.
Die 360-Grad-Videoreportage aus dem Apotheken-Bunker
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Wobei es dafür durchaus schlechtere Orte gibt. Denn die passende Wundcreme zu finden, dürfte recht schnell gehen. Immerhin ist in dem Bunker eine Apotheke untergebracht – die größte in Deutschland. Wobei, wenn es um die Größe geht, ist man vor Ort eher zurückhaltend. Johannes Kobsik schränkt etwas ein: „Zumindest Unter Tage dürfte es kaum eine größere Apotheke geben“, sagt der junge Stabsapotheker, der mit seinen 31 Jahren bereits einen Teil des unterirdischen Medizinschranks leitet.
Ziegenstall und Pilzplantage
Gleich einmal ein zwei Fragen an Kobsik. Erstens: Wozu braucht eine Armee eine eigene Apotheke? „Die Bundeswehr hat eine freie Heilfürsorge. Ein Soldat kann also zu seinem Truppenarzt gehen und der verschreibt ihm dann etwas. Die Medikamente werden von uns verschickt. Wir versorgen so rund 69 000 Soldaten von Berlin bis nach Bayern.“ Zweite Frage: Warum unterirdisch und nicht modern als Lagerhalle auf der grünen Wiese? „Hier unten herrschen ideale Bedingungen – vor allem für Medikamente. Die Temperaturen liegen immer zwischen 17 und 20 Grad Celsius und die Luftfeuchtigkeit ist gering.“
Außerdem, so könnte man der Antwort des Stabsapothekers hinzufügen, ist der Bunker schon lange in militärischer Nutzung. Ein historischer Abriss seiner Entstehung: Die ersten Löcher ließen die Nationalsozialisten von Kriegsgefangenen und KZ-Häftlingen in den Sandstein des Berges treiben. 1944 begann das Bauvorhaben. Wie viele Menschen dabei starben, ist bis heute unbekannt. In den Stollen wollten die Nazis, geschützt vor den Angriffen der Alliierten, Waffen und Kriegstechnik bauen. Dazu kam es jedoch nie.
Nach dem Krieg nutzte dann die lokale Bevölkerung die Höhlen. Sie lagerten hier Lebensmittel, ein Bauer stellte seine Ziegen unter und ein Züchter legte eine Champignonplantage an. Das ging so bis Mitte der 70er Jahre. Dann wurde die NVA auf die Anlage aufmerksam und übernahm sie. Es folgte der massiver Aus- und Umbau zum „Komplexlager II“. Befüllt wurde es mit allem, was man für eine Armee braucht – von Munition bis zum Sanitätsmaterial. Über die Jahre des Betriebs entstand eines der wichtigsten und sichersten NVA-Depots. Selbst bei einem Atomschlag hätten bis zu 260 Soldaten im Berg autark leben können.
Überbleibsel aus dieser Ära des Kalten Krieges sind noch heute im Bunker zu finden. Der Kommandoraum etwa, der im hinteren Teil liegt und den die Bundeswehr nach der Übernahme des Tunnelkomplexes 1992 in seinem letzten Zustand belassen hat – inklusive der handgeschriebenen Plänen an der Wand, die Termine nach Moskauer Ortszeit angeben.
100 Tonnen schwere Tür
Damit wieder in die Gegenwart, wo Johannes Kobsik das Tunnelsystem etwas genauer zeigt. Ganz exakt heißt die Anlage „Versorgungs- und Instandsetzungszentrum Sanitätsmaterial Blankenburg“. Ein Wortungetüm, das selbst abgekürzt bis vor Kurzem noch auf den sperrigen Namen „VersInstZ SanMat“ hörte. Mittlerweile wird es mit VIZ-Blankenburg abgekürzt.
Dessen Eingang könnte man mit einem Stahltor verschließen. „Das wird aber nur noch selten gemacht“, sagt Johannes Kobsik. Das Tor ist nämlich sechs Meter breit, ebenso hoch und wiegt wuchtige 100 Tonnen. Auch so ein Überbleibsel aus der Atombunker-Ära. „Würde man das Tor ständig öffnen und schließen, würde die Zahnräder im Antrieb zu schnell verschleißen.“ Deswegen muss ein kleineres Metalltor ausreichen.
Rein in das Tunnelgewirr. Die Gänge sind zwar schnurgerade, die Orientierungslosigkeit setzt aber dennoch nach wenigen Minuten Fußmarsch ein. Alles sieht hier nämlich ziemlich ähnlich aus. Graue Wände (die NVA ließ den Sandstein einst mit Beton verputzen) und links wie rechts: Regale, Regale, Regale und Kartons, Kartons, Kartons.
Alle drei Minuten ein Paket
Dabei erscheint die Sortierung mitunter etwas wild zu sein. Das allerdings ist gewollt, denn das Chaos hat System. „Wir haben hier ein dynamisches Lagersystem, mit dem die Kapazitäten optimal genutzt werden sollen“, erklärt Kobsik. Bedeutet: Es gibt keine festen Plätze für Produkte. Nur der Computer, der die Apotheke verwaltet, weiß, wo alles steht. Solche Managementsysteme werden auch bei Versand-Riesen wie Amazon genutzt. „Mit denen können wir uns von der Größe her aber nicht messen“, meint Kobsik. Aber immerhin: Alle drei Minuten verlässt ein Paket mit Arznei den Berg. Zwischen 3 000 und 4 000 Produkte sind in der Apotheke vorrätig – von der Schmerztablette bis zum Mittel gegen Hämorrhoiden. Sogar Kunstblut und Bauchwunden-Imitate gibt es. „Die werden bei Sanitätsübungen gebraucht“, erklärt der Stabsapotheker.
Allerdings ist die Groß-Apotheke nicht das einzige, was sich im Bunker verbirgt. Je tiefer man in den Sandsteinfels vordringt, desto weniger medikamentenlastig wird es. Viele technische Geräte, die in der Kaserne gewartet werden, sind hier abgestellt: Sterilisatoren, Narkoseausstattungen, Beatmungsgeräte. Alles verpackt in Kisten und Koffern, die Regalkilometer füllen.
In einigen Gängen allerdings ist es fast schon gespenstisch leer. „Die sind eigentlich mit Betten, Matratzen und Decken voll“, erklärt Johannes Kobsik. Doch die Krisen der Vergangenheit hätten die Vorräte der Bundeswehr geschröpft: „2013 haben wir bei der Flut viele Betten rausgegeben und dann kam im vergangenen Jahr noch die Flüchtlingshilfe hinzu.“ Eine neue Krisenlage? Derzeit würde die eher ungelegen kommen. Doch Kobsik ist zuversichtlich. „Die Regale werden sicher bald wieder voll sein.“