Der Batman von Sachsen-Anhalt

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Die Lichtkegel der Taschenlampen huschen durch die Finsternis. Ein eisiger Wind weht den engen Gang entlang. Dessen Decke hängt auf Schulterhöhe. Fortbewegung ist hier, in der Grottenlandschaft der Heimkehle, nur in gebückter Haltung möglich – als würde man etwas auf dem Boden suchen. Die schroffen, grauen Felswänden der Höhle sind durch Risse und Spalten zerklüftet. Ideale Bedingungen für die kleinen Tiere, die in den Ritzen hausen. Die Heimkehle ist nämlich Fledermausland.

Das 360-Grad-Video: Fledermaus-suche in der Heimkehle

Wie funktionieren 360-Grad-Videos? Antworten gibt es auf unserer Extraseite! Wer das Rund-Um-Video in Vollbildmodus sehen will, der kann das unter diesem Link tun. Und wer es mit einer VR-Brille ansehen möchte, sollte den Youtube-Link benutzen.

An ihren Stirnlampen erkennt man in der Dunkelheit drei Gestalten, die jede Gesteinsöffnungen durchleuchten. Es sind Bernd Ohlendorf und zwei seiner jungen Helfer: Franziska Döll und Stefan Grollmütz. In der Heimkehle sind die drei den geflügelten Säugetieren auf der Spur. „Wir zählen heute Mopsfledermäuse und das Große Mausohr“, erklärt Ohlendorf ihre Mission.

Der 61-Jährige leitet die   Landesreferenzstelle für Fledermausschutz.  Und es gibt wohl niemanden im Land, der sich mit den   Tieren so gut auskennt wie er. Ohlendorf ist der Batman von Sachsen-Anhalt. Seit über 50 Jahren erforscht er Fledermäuse. In den Wintermonaten ist er fast täglich in ihren Verstecken unterwegs. Denn die kalte Jahreszeit ist Inventurzeit. Da werden die Tiere gezählt.   Anhand dieses Monitorings kann Ohlendorf dann sehen, wie sich der Bestand der seit 1936 streng geschützten Arten entwickelt.

Mops in Wohlfühlposition

Eine Mopsfledermaus, die es sich in einer engen Felsspalte gemütlich gemacht hat. Diese Art bevorzugt trockene und kalte Schlafplätze. (Foto: Andreas Stedtler)

„15 Arten haben wir in der Höhle schon nachgewiesen“
Bernd Ohlendorf

Die Heimkehle ist für diese Winterzählung bestes Terrain. Die Gipshöhle, die als größte ihrer Art in Deutschland gilt, liegt bei Uftrungen, auf der Grenze von Sachsen-Anhalt und Thüringen. Der  imposante Zusammenschluss von bis zu 22 Meter hohen Hohlräumen gehört zum Biosphärenreservat Karstlandschaft Südharz. Seit 1920 ist die Heimkehle bereits eine Schauhöhle, durch die Besucher geführt werden. Viel länger jedoch überwintern Fledermäuse in dem unterirdischen Felsenreich.

„15 Arten haben wir in der Höhle schon nachgewiesen“, erzählt Ohlendorf. Es gibt wenige Orte in Deutschland mit einem ähnlich hohen  Fledermausreichtum. Das Geheimnis der Heimkehle ist dabei der große Natureingang. Der ist gut 50 Meter breit und einige Meter hoch. „Da können die Tiere mit vollem Tempo reinfliegen und sich dann in den großen Hohlräumen austoben“, sagt Ohlendorf. „Wenn ich eine Fledermaus wäre, würde ich das auch so machen.“

Im engen Gang kommt plötzlich Bewegung auf. „Hier ist ein Mops“, ruft Franziska Döll aus der Dunkelheit. Döll ist Mitglied des Arbeitskreises Fledermäuse und, wie Ohlendorf sagt, spezialisiert auf die Verstecke von Möpsen. Dazu muss man wissen, dass Möpse, also Mopsfledermäuse, es kalt und trocken mögen. Deswegen verkriechen sie sich in der Heimkehle in bodennahen Spalten, wo der eisige Wind die Temperaturen fast bis zum Gefrierpunkt absenkt.

Schlecht postierte Scheinwerfer

Eine solche Fuge im Felsen leuchtet Döll nun aus. Der Spalt ist nicht einmal zwei Finger breit und doch klemmt in ihm ein Knäuel aus grauem Fell und dunkler Haut. „Dass die so eingezwängt ist, ist  kein Problem“, erklärt Ohlendorf. Mopsfledermäuse mögen den Bauch-Rücken-Kontakt mit der Gesteinswand. Das ist ihre Wohlfühlposition. So eingenistet, passen sie ihre äußere Körpertemperatur der Umgebung an. Nur im Kern bleiben sie warm. Ein bis vier Herzschläge pro Minute hat ein Tier in dieser Haltung noch. „Da lässt es sich wunderbar schlafen“, meint Ohlendorf.

„Mit der derzeitigen Situation in der Heimkehle können wir gut leben“
Bernd Ohlendorf

Die Fledermausinventur geht weiter. Raus aus den engen Gängen in die großen Hallen der Heimkehle.  Es wird heller, weil Wege und Wände hier beleuchtet sind. Es ist der Teil der Höhle, in dem auch Führungen stattfinden.   „Mit der derzeitigen Situation in der Heimkehle können wir gut leben“, sagt Ohlendorf. Zwar würden ohne Besucher auch mehr Fledermäuse in den unterirdischen Hohlräumen leben. „Aber es ist nun eben Schauhöhle und Naturschutzgebiet zugleich“, meint der 61-Jährige.

Ohlendorf ist nicht militant, wenn es um den Schutz seiner Schützlinge  geht. Aber er ist energisch, wenn auf sie nicht geachtet wird. „Vor kurzem wurde hier so ein Monsterscheinwerfer aufgestellt, mit dem man Hochhäuser anstrahlen könnte“, erzählt er. Der habe einen Haupthängeplatz der Fledermäuse komplett weiß ausgeleuchtet. „Natürlich setzt sich dort kein Tier mehr hin.“ Auf seinen Wunsch  sei der Strahler aber sofort weggerückt worden.

Bedrohung für die Fledermäuse

Das Große Mausohr liebt feuchte und wärmere Schlafplätze. Deswegen ist es eher an der Decke von Höhlen zu finden. (Foto: Andreas Stedtler)

Schlecht postierte Scheinwerfer sind allerdings eines der kleineren Probleme für Ohlendorf. Die bedeutenderen Gefahren warten nämlich außerhalb der Höhle. „Eine der größten Bedrohungen sind  Windkraftanlagen“, erklärt er. Jährlich würden Schätzungen zufolge in Deutschland etwa 300 000 Fledermäuse durch Windräder sterben. Das Problem sei die schnelle Umdrehung der Rotoren.  „Auch Fledermäusen  mit ihrem exzellenten Orientierungssystem gelingt das Ausweichen kaum.“

Zurück in die hohen Hallen der Heimkehle: Dort richten sich die Lampen mittlerweile nach oben. Gesucht wird das Große Mausohr, mit bis zu 40 Zentimetern Spannweite der Riese unter den fliegenden Höhlenbewohnern.  „Mausohren findet man vor allem an der Decke, weil sie Wärme und eine hohe Luftfeuchtigkeit mögen“, sagt Ohlendorf. Er braucht nur wenige Taschenlampenschwenks, um ein Exemplar ausfindig zu machen. Kopfüber und wie festgeklebt hängt es an der  glatten Steinwand. Es folgt ein Exkurs über Aussehen und Verhalten dieser Art. Ohlendorf, der Batman von Sachsen-Anhalt, ist in seinem Element.

Nach ein paar Stunden beendet der Drei-Personen-Suchtrupp seine Expedition. Neben mehreren Möpsen und Mausohren haben sie auch eine Wasserfledermaus gesichtet. Allerdings sind das auch nur drei von insgesamt 22 Arten, die in Sachsen-Anhalt bereits nachgewiesen sind. Eine in Deutschland seltene Vielfalt.  Um die zu erhalten, werden Bernd Ohlendorf und seine Helfer auch künftig durch die dunklen Verstecke der Fledermäuse streifen.