Die Salzstreuer

Ungefähre Lesezeit: 7 Minuten

Der Schneefall wird immer dichter, als Mandy Arnold auf die Autobahn 9 in Richtung München biegt. „Vor mir baute sich eine weiße Wand auf“, erzählt die 37-Jährige. Die Sicht? Als würde man durch ein Glas Milch schauen. „Ich konnte nicht einmal mehr die Leitplanken erkennen“, sagt Arnold. Hinzu kommen Sturmböen, die über die Autobahn peitschen. Es sind Bedingungen, bei denen die meisten Menschen lieber zu Hause bleiben. Doch Mandy Arnold kann das nicht. Denn bei schlechtem Wetter unterwegs zu sein, ist ihr Beruf.

Das 360-Grad-Video: Unterwegs mit den Straßenwärtern

Wie funktionieren 360-Grad-Videos? Antworten gibt es auf unserer Extraseite! Wer das Rund-Um-Video in Vollbildmodus sehen will, der kann das unter diesem Link tun. Und wer es mit einer VR-Brille ansehen möchte, sollte den Youtube-Link benutzen.

Arnold ist Straßenwärterin. Eine von 30 Mitarbeitern der Autobahnmeisterei in Peißen, einem Ort an der Stadtgrenze von Halle. Ihr Revier, das sind 94 Kilometer der Autobahn 9 und 14. Im Sommer richten sie dort Baustellen ein, halten den Asphalt sauber und die Strecke instand. Sobald sich die Temperaturen aber dem Gefrierpunkt nähern, schalten die Straßenwärter auf Wintermodus. Dann sind sie rund um die Uhr in ihren Schneepflügen unterwegs.

So ist es auch bei Mandy Arnold am Tag nach dem dichten Schneetreiben. Der Sturm hat sich verzogen, Wolken verhängen den Himmel. Es ist Vormittag, die Autobahn 14 gut gefüllt. Die 37-Jährige sitzt hoch über der Fahrbahn im Cockpit ihres Räumfahrzeugs. Es ist eine erhabenen Position, von der aus man den Lkw-Fahrern ins Führerhaus schauen kann. „Wir streuen jetzt noch einmal das Schkeuditzer Kreuz“, erklärt Arnold. Der Knotenpunkt am Rande Sachsen-Anhalts ist eine der wichtigsten Verbindungsachsen der Region. Die A 14 trifft hier auf die A 9. Tausende Fahrzeuge passieren das Verkehrskreuz pro Tag. „Wenn es da glatt wird, droht ein riesiges Chaos.“

Glätte liegt in der Luft

Ein Streufahrzeug im Einsatz: Aus dem Heck kommt das Salz herausgeschossen. Zwölf Tonnen passen in den Schneepflug rein. (Foto: Andreas Stedtler)

Und Glätte liegt in der Luft. Die Temperaturen sind niedrig, knapp unter dem Gefrierpunkt. Die Straße: sehr nass. Doch Arnold bleibt ruhig und lässt die Streuanlage vorerst aus. „Wir waren ja die ganze Nacht schon im Einsatz“, sagt sie. Da sei bereits tonnenweise Salz auf den Straßen verteilt worden. Das verhindere nun die Eisbildung. „Jetzt streuen wir nur an empfindlichen Punkten noch einmal nach.“

Winterdienst ist im besten Fall präventiv. Das sagt auch Uwe Zwanzig: „Schon bevor der Schnee fällt, probieren wir auf den Straßen zu streuen, damit es gar nicht erst glatt wird“, erklärt der Leiter der Autobahnmeisterei in Peißen. Doch woher weiß er, wo es glatt werden könnte? „SWIS“, antwortet Zwanzig. Eine Abkürzung, deren Einsatz gut überlegt ist. Denn das Wort dahinter ist mit einmal Luftholen kaum auszusprechen: Straßenwetterinformationssystem. Dahinter verbirgt sich ein Verbund von Messtellen, die an Straßen in ganz Deutschland installiert sind. „Ein Hilfsmittel, auf das ich nicht mehr verzichten möchte“, sagt Zwanzig.

200 Tonnen Salz in einer Nacht

So sieht das Straßenwetterinformationssystem, kurz SWIS, aus. Die Punkte zeigen die Messstellen in Sachsen-Anhalt. Sie zeichnen dauerhaft die aktuellen Bedingungen auf. Auch Parameter wie den Gefrierpunkt berechnen sie. (Foto: Andreas Stedtler).

In der Praxis ist SWIS eine Karte von Sachsen-Anhalt, die der Meisterei-Chef immer auf seinem Computer geöffnet hat. Die Messstellen sind dort bunte Punkte, die man anklicken kann. Zwanzig wählt einen davon aus. Ein Fenster öffnet sich, das mit Kapellenberg überschrieben ist. Eine Messstelle auf der A 9, kurz vor Bitterfeld-Wolfen. Zahlreiche Werte erscheinen: Temperatur, Feuchtigkeit, Niederschlag. „Hier kann man jetzt sehen, dass die Bedingungen dort gut sind“, sagt Zwanzig. Die Temperatur der Straße liegt bei -0,8 Grad und es ist ein leichter Wasserfilm auf dem Asphalt. Allerdings meldet die Sonde, die in die Fahrbahn eingelassen ist, dass sich erst bei -17,2 Grad Eis bilden würde. „Davon sind wir ja noch weit entfernt.“

Der Grund für einen solch niedrigen Gefrierpunkt liegt in einer großen Scheune auf dem Gelände der Autobahnmeisterei. Je näher man dem Holzgebäude kommt, desto dicker wird die weiße Kruste auf dem Boden. „Das ist unser Streusalzdepot“, sagt Zwanzig. In der Scheune türmen sich mehrere Haufen zu einem Berg, der bis an die Decke reicht. Der Anblick erinnert an eine Dünenlandschaft in der Wüste. Und sogar die Farbe passt. Das charakteristische Weiß strahlt nur an wenigen Stellen hervor. Es dominiert Rohrzuckerbraun. Doch Zwanzig beruhigt: „Die Farbe kommt von Zusätzen, aber an sich ist das ganz normales Streusalz.“

Klein neben groß: Die Meistereien haben verschiedene Schneepflüge im Einsatz. Von den großen gibt es in Peißen zehn Stück. (Foto: Andreas Stedtler)

Und dieses Salz ist derzeit heiß begehrt. In diesem Winter ist mehr los als in den vorangegangenen Jahren, sagt Zwanzig. Mehr Einsätze müssten gefahren werden. Das zeigt sich auch am Depot. „Jetzt sind etwa 600 Tonnen drin“, schätzt Zwanzig. Einen Tag zuvor seien es noch 200 Tonnen mehr gewesen. „In der vergangenen Nacht sind wir mit acht Autos gefahren, da schmilzt der Berg schon schnell dahin.“ Doch Nachschub gibt es genug. „Wir bekommen unser Salz aus der Landesreserve in Bülstringen“, erzählt der Meisterei-Chef. Die wurde nach dem harten Winter 2010 angelegt. Nun, nach mehreren warmen Jahren, wird sie wieder aufgelöst.

Streu-Choreographie

Zurück auf die Straße, ins Cockpit des Räumfahrzeugs. Mandy Arnold steuert auf das Schkeuditzer Kreuz zu. Auf einem Pult vor sich dreht sie an zwei Reglern. Dann drückt sie einen blauen Knopf und schon regnet es Salz auf die Straße. In Kreisen schießen die Körner aus dem Heck ihres Schneepflugs und verteilen sich auf den drei Fahrbahnen. „Wir streuen jetzt nicht das ganze Kreuz, das ist bei den Bedingungen nicht nötig“, sagt Arnold. Außerdem wäre es für nur ein Fahrzeug auch ein zu großer Aufwand. Mit seinen ganzen Auf- und Abfahrten hat der Verkehrsknoten eine Länge von Zwölf Kilometern. Ein Fahrzeug müsste aber etwa 100 Kilometer fahren, um das Kreuz alleine zu streuen. „Wir müssen ja immer wieder wenden, um alle Bahnen zu erwischen.“

Winterdienst ist deswegen Teamarbeit. Wenn richtig viel Schnee fällt, sind auf dem Schkeuditzer Kreuz vier Streukommandos im Einsatz. Sie bewegen sich dann nach einer zuvor festgelegten und optimierten Choreografie. Manchmal allerdings kommen selbst die Räumfahrzeuge nicht mehr weiter. „Wenn die Fahrbahn spiegelglatt ist, können auch wir nicht mehr fahren“, sagt Arnold. Dann hat die eigene Sicherheit Vorrang. So wie am Vortag, als der dichte Schnee sie fast blind machte. „Da bin ich kurz stehen geblieben und hab gewartet, bis die Bedingungen wieder besser wurden“, sagt Arnold. Denn am wichtigsten sei immer, dass man am Ende der Schicht unverletzt nach Hause kommt.

So sieht der Plan für das Streuen und Beräumen des Schkeuditzer Kreuzes aus. Die Linien zeigen einzelne Räumkommandos. Insgesamt sind vier beteiligt. (Foto: Andreas Stedtler)